laut.de-Kritik
Belgiens bestgehütetes Indie-Geheimnis.
Review von Michael Schuh"Wir haben uns nie Gedanken darüber gemacht, was es bedeuten könnte, eine normale Rockband zu sein. Wir machen einfach Musik. Unsere Musik", sagt Sänger Bert Ostyn.
Gut, der Mann dürfte ohnehin zu tief in der Materie stecken, um die nötige Distanz zum eigenen musikalischen Schaffen zu wahren. Zudem wäre er sicher zu bescheiden, um die Wahrheit auszusprechen. Deshalb übernehme ich es für ihn: Absynthe Minded sind keine normale Rockband. Können sie gar nicht sein, niemals hätte sich dEUS-Chef Tom Barman sonst mehrfach öffentlich als glühender Fürsprecher der Jungs aus dem belgischen Gent ausgegeben.
Ohne auf dem Support der bekanntesten belgischen Alternative-Rocker für Absynthe Minded herumreiten zu wollen: Gerade dieser Barman ist wahrscheinlich der Letzte, der auf eine Horde Taschenspieler hereinfallen würde, die routiniert ihren Stiefel runterspielen oder prinzipiell gerne im Mittelpunkt stehen. Was zweifelsohne auf ein Gros der heutigen Musikerlandschaft zutrifft.
Bei Absynthe Minded ist nichts 08/15, sie sind sozusagen die Antithese behäbigen Muckertums. Man muss eigentlich nur den Beginn von "Space" hören: Dieses spielerisch hingeworfene und wie gemalt klingende Klaviermotiv, dieser sofort präsente Sänger, die sanft einsetzenden Kollegen an Bass, Gitarre und Schlagzeug, die alles tun, um im Hintergrund zu bleiben, wohl wissend, dass die Protagonisten des Stücks, Piano und Gesang, die Nummer sicher ins Ziel führen werden.
Wie lässig Sänger Ostyn bei der Zeile "He's waiting by the door" im Stile altgedienter Profis das "doooor" nach unten zieht, sagt im Prinzip schon alles aus über das gewachsene Selbstverständnis dieser seit 2004 aktiven Band. Obwohl das 2010er Werk "Absynthe Minded" beim Major Universal scheinbar durchfiel, hielten die Belgier an ihrem kruden Mix aus Folk, Gypsy, Jazz, Swing und Indie-Rock fest, fuhren nach Paris und nahmen dort mit Vintage-Instrumenten abermals ein Vorzeigealbum auf.
Nach "Space" drückt die Band in "End Of The Line" aufs Tempo. Die Orgel rückt in den Vordergrund und die Geigen flirren sich warm für den Folgesong "As It Ever Was". Lobte ich vor zwei Jahren noch die Entscheidung, den alten Übersong "My Heroics, Part One" (2005) für die Ahnungslosen einfach mit auf "Absynthe Minded" zu packen, ist mit "How Short A Time" nun endlich ein Nachfolger für die herzzerreißende Ballade gefunden.
Das ganze Album strotzt vor eingängigen, dabei aber nie aufdringlichen Melodien. Das hat für die Belgier eventuell den Nachteil, dass so ein zünftiger Mainstream-Hit dem Hörer auch mal mit dem Hintern ins Gesicht springen muss. Mit "Envoi" war man schon einmal nahe an so einem Phänomen, gereicht hat es offenbar nicht.
In "Little Rascal" verweben Absynthe Minded dann ein orientalisches Sample mit stockdunklen Postpunk-Akkorden, bevor sie in "Only Skin Deep" wieder hemmungslos der Melancholie frönen. "24/7" ist die einzige Schwachstelle des Albums, da der Song im Refrain leider Reamonn-Assoziationen bei mir hervorruft. Dass die Belgier auf ganz anderem Level arbeiten, beweist gleich im Anschluss die Upbeat-Hymne "You Will Be Mine".
Nach fünf überdurchschnittlich guten, hierzulande aber sträflich missachteten Gitarrenalben müssen Absynthe Minded jetzt wahrscheinlich wirklich einen dicken Werbespot an Land ziehen, um zur breiten Masse durchzudringen. Bei The Heavy hats ja auch geklappt.
1 Kommentar
Jepp, die letzten beiden Platten waren wirklich schön. Wenn die Jungs in der Nähe sind, werde ich wohl mal das Eintrittsgeld riskieren.