laut.de-Kritik
Verwirrspiel mit Ansage. Ich will eine Brezel.
Review von Dani FrommEigentlich gibt es nur zwei Wege, um mit Aesop Rock halbwegs zurande zu kommen. Einer davon endet fast zwangsläufig mit durchgeschmorten Hirnwindungen. Den nehme ich selbstverständlich immer zuerst, auch wenn ich es nach Jahren langsam echt besser wissen müsste: Jedes verdammte Mal, bei jedem neuen Track auf jedem Album versuche ich, zu entschlüsseln, was zum Teufel dieser Mann da bloß erzählt.
Ich schau' mir diese Texte an und verstehe (das atypisch zugängliche "The Impossible Kid" ausgenommen) ... Bahnhof. Oder Eiersalat, egal! Die Springflut aus schrägen Metaphern, losen Assoziationen, an Haaren oder Darmzotten herbeigezogenen Vergleichen und Referenzen auf tausendundeine andere musikalische oder sonstwie (pop-)kulturelle Ebene kreiert zwar sehr dichte Stimmungen, ganze Atmosphären. Ich könnte dennoch von kaum einer Zeile sagen, was genau sie bedeuten soll.
Trotzdem versucht der Verstand zunächst, dem kryptischen Allerlei einen Sinn abzutrotzen - und scheitert. Diese Niederlage hätte man sich sparen können, hätte man gleich Vorgehensweise zwei gewählt: sich kopfüber in den irrwitzigen Malstrom stürzen und sich kampf- und widerstandslos Aesop Rocks Worten und Gedanken überantworten. Möglicherweise meint er das mit "Posse up and follow the anomalies", wetten würde ich darauf jedoch auch nicht.
Man hätte diesmal wirklich extragenau prophezeien können, wie der große weiße Hase läuft: Aesop Rock betreibt sein Verwirrspiel mit Ansage. Er konzipiert sein Album als "Spirit World Field Guide", als Survival-Leitfaden für die Wildnis seines Geistes. Per Intro schickt er eine unmissverständliche Warnung vorweg: Zwischen unwirklichen, sich wie ein schräger Traum anfühlenden Klängen kündigt die unaufgeregte Erzählstimme Anekdoten, Rezepte und Überlebenstipps an, eine Kombination aus Hausordnung, Empfehlungen und Triggerwarnung. Bereit?
Nö. Aber egal: "The Gates" stehen offen, dahinter lassen stechende Synthies und dicker, wattiger Bass überall im Augenwinkel lauernde Gefahren ahnen. Hin und wieder schwirrt ein Melodiefetzen vorbei, rascheln Schritte im Laub. "Dog At The Door"? 'Ne Katze? Oder doch der Typ mit der Axt? Kein Wunder, dass Aesop Rock sich ein "dream home" mit "like thousand deadbolts and less than no windows" wünscht. "I use a phony voice when I'm yelling 'Nobody's home' /
I'm a liar but I wouldn't say I'm wrong."
Kein Wunder außerdem, dass sich jemand, der seine ... nennen wir es "Schwierigkeiten, mit menschlicher Gesellschaft klarzukommen", schon häufiger thematisiert hat, sich zunehmend abkapselt und sich tiefer und immer noch tiefer in seine Fantasiewelt zurückzieht. Die Einladung, ihn dorthin zu begleiten, steht, hoffentlich haben alle genug Verbandsmull eingepackt. Schon in der ersten Single "The Gates" hagelt es Eastereggs, zwischen Querverweise auf "Eat The Rich" und Bolt Thrower passt immer noch ein Raekwon-Sample.
Das setzt sich im weiteren Verlauf nahtlos fort. Nicht nur, wenn er in "Gauze" die Ansprache von Sergeant Major Sandy Young aus "The Wild Geese" samplet, zitiert Aesop Rock Filme und Serien und Songs und Literatur und wasweißich wen und was noch alles: Der Typ ist einfach eine wandelnde Fundgrube für Nerdwissen.
Im Gegensatz zu der inhaltlichen Sprunghaftig- und Wandelbarkeit wirkt der Vortrag geradezu monoton, raptechnisch geht Aesop Rock Track für Track arg ähnlich zu Werke. Sein spezieller (und entsprechend unverwechselbarer) Flow bildet aber auch die einzige Konstante, um sich in dem Durcheinander daran entlangzuhangeln. Eintönig wirkt Aesops "Sprit World" ohnehin nicht, dafür treibt sie zu viele zu seltsame Blüten.
Die spiegeln sich wiederum in der musikalischen Umsetzung. Synthies clashen auf E-Gitarren-Klänge ("Button Masher"), "Dog At The Door" wirkt stellenweise wie ein Boogie, "1 To 10" wie ein Abstecher in die Klavierstunde oder den Ballettunterricht. "Flies" wiegt sich wie in Zeitlupe, so dass auf Anhieb kaum auffällt, dass das bloß ein 45-sekündiger Schnipsel ist.
Scratches schrappen in "Jumping Coffin" über einen fast schon oldschooligen Beat, "Boot Soup" zieht viel von seiner Unwirklichkeit aus dem leise verschobenen Rhythmus, in dem Aesop Rock sein Klangkaleidoskop schüttelt. In "Gauze" dagegen scheppern Drums und Basssaiten sehr, sehr handfest. "Sleeper Car" eröffnet, man wundert sich längst über gar nichts mehr, eine Kirchenorgel.
Allein "Pizza Alley" wechselt mindestens zweimal komplett die Stimmung. Wenn am Ende Ruth White wie ein Geist aus einer anderen Zeit ein Gedicht von Baudelaire rezitiert, sind Aufnahmekapazität und Aufmerksamkeitsspanne auch eines aufgeschlossenen Publikums eigentlich schon erschöpft. Aesop Rock aber geht unbeirrt weiter, "floating down the river Styx".
Im weiteren Verlauf lerne ich, was "Kodokushi" ist (ein schönes Wort für eine unschöne Sache), nachdem ich meinen Schmerz auf einer Skala von "1 To 10" einzugrenzen versucht habe. Kurz vor Schluss gibts außerdem eine "Side Quest" in Form einer jazzigen Improvisation. (Als hätte irgendjemand verstanden, was die Hauptaufgabe war.)
"Spirit World Field Guide" lässt tatsächlich so komplett ausgelaugt zurück, dass sich die Quengelei aus "Coveralls" mühelos nachempfinden lässt: "This is stupid, I'm tired, I want a pretzel." Es ist aber natürlich nicht wirklich dumm, und dem Brezelwunsch begegnet Aesop Rock vermutlich ohnehin eher mit eindeutiger Gestik: "His middle fingers wore little safari hats." Gut, dass der Platz für weitere Bilder im Kopf längst aufgebraucht ist.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Ich find es wieder deutlich sperriger als "The Impossible Kid", was es aber schwerer macht, es so oft hören zu wollen, dass man komplett in diesem verständigen Paralleluniversum angekommen ist. 3-4 von 5.
Review passt insgesamt recht gut.
Wenn ich lese, dass eine neue Scheibe von Aesop Rock ansteht, drücke ich unweigerlich auf 'Pre-Order', weil ich einfach weiß, dass meine Erwartungen übertroffen werden. Dieses Album ist ein außergewöhnlicher Hammer, der seit Freitag konkurrenzlos in meinem Player rotiert.
Spielend 5* - ganz großes, abgefahrenes Kopfkino!
„Wenn ich lese, dass eine neue Scheibe von Aesop Rock ansteht, drücke ich unweigerlich auf 'Pre-Order', weil ich einfach weiß, dass meine Erwartungen übertroffen werden.“
Ui, ein Erwartungs-Paradox. Nett, kannte ich noch nicht. Den meisten Stuff von Aesop Rock ebenso, obwohl ich Labor Days wirklich extrem stark finde. Mache aber wohl erstmal mit Impossible Kid weiter...
Ich bin nur ein einfacher Fanboy, lol.
Aber im Ernst, Aesop Rock berührt mit seinem Sound und seinen Lyrics den einen bestimmten Nerv, deshalb kann ich guten Gewissens zugreifen. Ich besitze viele Outputs von ihm und wurde bisher nicht enttäuscht, wie gehabt.
Und ja, zieh dir unbedingt Impossible Kid rein, auch ein sehr gutes Album!
Ganz witzig für n psychedelisches Hörspiel.