laut.de-Kritik
Fiebertraum in Autotune? Hyperpop? Von allem ein bisschen.
Review von Kay SchierIch habe mich seinerzeit sehr über das Marteria/Ätna-Feature gefreut. Nicht wegen des Songs an sich, der ist Schmutz, aber sehr für die jeweiligen Bankkonten von Inéz Schaefer und Demian Kappenstein und für Ätna als solche, ihres Zeichens die momentan beste deutsche Popband und im Zuge ihrer Kollaboration mit Herrn Laciny ("muss was aus dem Kopf kriegen – Inception") ein Schritt weiter in Richtung Mainstream gerückt, dahin, wo sie hingehören. Das erste Ätna-Album, "Made By Desire", hielt 2020 nämlich, was der Titel versprach. Es ist groß, opulent, mit einem präzisen Ohr für popmusikalische Formensprachen ausgestattet, außerdem mit einem feinen Gespür dafür, wann diese aufzubrechen sind, um einen Song im Break auf ein neues Level zu heben. Sie können Balladen, sie können Hymnen, haben den Jazz genauso studiert wie Bassmusik aus Bogotá, Lagos oder London, sie können mit krummen Takten herumfrickeln und 7/8 gerade klingen lassen, wenn sie wollen.
"Push Life" geht die Dinge etwas anders an als der Vorgänger. Es drängt sich der Eindruck auf, dass im Studio das starke Bedürfnis in der Luft lag, sich nicht zu wiederholen, auf dem selbstgeschreinerten Thron nicht auszuruhen. Als wäre dem Duo die eigene Perfektion ein wenig unheimlich geworden, haben sie den Stadionbombast des Debütalbums überwiegend zu den Akten gelegt. Die Songs sind etwas kürzer geworden, zudem kratzbürstiger, weg sind auch die wohlig-nostalgischen Soundreferenzen an die goldenen Achtziger, die auf "Made By Desire" durch den Mix schimmerten.
Stattdessen rotzen sie einem zum Einstieg "Anymore" vor die Füße, ein hektisches Stück Breakbeat, das sich nur so lange wie unbedingt nötig mit seiner Hook aufhält, bevor es sich wieder ins Stroboskopgewitter stürzt, nur um im darauf folgenden "Smile" weitestgehend auf Drums und solchen Schnickschnack zu verzichten. Ist das eine Ballade? Ein Fiebertraum in Autotune? Irgendwas mit Hyperpop? Von allem ein bisschen, und während man den Mut zum Experiment würdigen muss, das Sounddesign wie gewohnt über jeden Zweifel erhaben ist, vermisst man auch nach mehrmaligem Hören den letzten, zündenden Funken, wartet auf das Feuerwerk, das nicht hochgeht. Ähnlich geht es mir mit der Single "Lonely", auf der die Taktwechsel den Song einerseits interessant machen, andererseits künstlich ausbremsen.
Hier wie da fällt auf, dass Sängerin Inéz Schaefer ihre Vocals teilweise bis zur Unkenntlichkeit in Effekten ertränkt, hier wie da wünscht man sich immer wieder, dass ihre alarmsirenenhafte Kopfstimme einmal roh durch den Mix schneiden möge, aber dieses Erlebnis gönnen uns Ätna auf "Push Life" nicht. Der Gesang ist hier noch viel stärker als auf dem Vorgänger als zusätzliche Soundtextur anstatt als Star der Show zu verstehen. Dieser Ansatz funktioniert gut auf den bassbetonten M.I.A.-Hommagen "Trick By Trick" und "Aye Aye", die allein deswegen großartig sind, weil sie die Leute daran erinnern, dass sie mehr M.I.A. hören müssen, oder wenn sie bei "I See Love" die Sonne über dem Dancefloor aufgehen lassen. Hier scheint ein lässiger Swagger durch, das Unverkopfte will sich mit dem Fricklertum versöhnen – dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass sie hier mit Absicht ein Stück weit unter ihren eigenen Möglichkeiten bleiben.
Sie beteuern es ausgiebig auf dem Festivalbühnen-Elektroklopper "Weirdo feat. Meute" ("Weirdo, weirdo, weirdo, weirdo" – Botschaft angekommen?), und das glauben wir ihnen ja auch und sind überaus dankbar dafür, dass sie sich in diese Richtung bewegen, und nicht in die entgegengesetzte. Gleichzeitig sind sie außergewöhnlich begnadete Soundperfektionisten von der Dresdner Musikhochschule, die auf "Push Life" immer wieder so tun, als wären sie Hamburger Electropunker oder Trap-Kids aus L.A.
Es ist noch nicht einmal so, dass das Album einen unterm Strich mit dem Gefühl zurücklässt, da wäre mehr drin gewesen. Es klingt nach einer Band, die soundtechnisch bereits am Ziel war und von diesem ohne Not noch einmal aufgebrochen ist in unergründete Gefilde, einfach, weil sie Bock darauf hat. Auf diesem neuen Weg latschen sie hin und wieder in eine Sackgasse, enttäuschen in diesen Momenten aber nur im Vergleich zu ihrem eigenen bisherigen Output, denn auch mit "Push Life" sind Ätna hierzulande immer noch konkurrenzlos in dem, was sie machen. Anstatt ihren Status zu verwalten, wagen sie den Zwischenschritt, der nicht immer vollends überzeugend klingt, aber auch niemals langweilig. Diese Band gilt es unbedingt weiter zu verfolgen.
1 Kommentar
kotz autotune.