laut.de-Kritik
Der schmale Grat zwischen Gänsehaut und Langeweile.
Review von Hannes WesselkämperAline Coen kennt sich offenbar mit Lyrik aus: Sie weiß, dass es auch die leeren Stellen des Blattes sind, die das Gedicht ausmachen können. Ähnliches gilt für ihre Musik. Eine minimal gezupfte Akustikgitarre hier und ein sanft gestreicheltes Schlagzeug dort lassen Coens Stimme genügend Raum, sich zu entfalten. Jedoch war der Grat zwischen Gänsehaut und Langeweile selten schmaler.
In den ersten Minuten des Hörens denkt man: der Fang der Woche. Ein leichtes Vibrieren der Gitarrensaiten verschwimmt mit einer absoluten Gänsehautstimme und verführt zu spontaner Überschwänglichkeit. Das Kritikerhirn stellt sofort Verbindungen zur frühen Emiliana Torrini her.
Nach einem Dutzend Lieder jedoch hat der Zuhörer bereits zu 90 Prozent Songs gehört, die über zu viel Nähe zweier Menschen und die daraus resultierende Unsicherheit einer Seite referieren. Die einzige Abwechslung bietet das Changieren zwischen deutschen und englischen Lyrics.
Die polyglotte Aline Coen entdeckte ihre Sangesbegabung 2003 auf einer Reise nach Schweden. Seitdem hat sie ihrem Stimmorgan eine enorme Vielseitigkeit antrainiert. Eine geschickt eingebaute Kieksigkeit verleiht die nötige Verschrobenheit einer Mädchen-Folk-Sängerin wie sie beispielsweise Regina Spektor in Reinform verkörpert. Doch ebenso versiert singt Coen die samtige adult contemporary "Starbucks-Jazz" Stimme.
Die textliche und musikalische Stagnation frustriert allerdings mit jedem Track mehr. Wenige Ausnahmen wie "Halo" oder "Wer Bist Du?" rütteln einen aus dem Schlaf. Keine Angst vor anschwellenden Instrumenten und klanglichen Experimenten, bitte!
Auch "Left Behind" wechselt zwischen einem prominenteren Gitarrenpart samt Schlagzeugeinsatz und einem deutlich ruhigeren Teil. Der Text handelt ironischerweise vom Ausbrechen aus gewohnten Mustern. "Das Letzte Lied" kehrt dann wieder zum altbewährten Trennungs-/Beziehungsproblem-Topos zurück. "Dieses ist bestimmt das letzte Lied / das ich für dich schreibe / weil es mich zu neuen Ufern zieht" - die Erkenntnis kommt reichlich spät.
Hier und dort gibt es eine eingestreute E-Gitarre, aber die weckt nur Lust auf mehr Abwechslung. Liebe Aline Coen Band, hier und dort scheint immer wieder musikalisches Können durch, warum versteckt ihr es derart hinter Beziehungs-Schmonzes und einschläferndem Instrumenteneinsatz?
"Seems like we're of the same kind / still I cannot get a connection", singt Frau Coen in "Same Boat". So sehe ich das auch und kann nur wiederholen: "Ich versuch's, schau her / schon wieder ein Versuch mehr", wie in "Ich War Hier" so passend bemerkt.
3 Kommentare
oh je...hier fehlt es jemanden definitiv an der Bereitschaft zum Hin- Zuhören...und zum Genießenwollen jedes neuen, einzigartigen Moments!
Ich beglückwünsche all diejenigen ("Auserwählten"), denen das möglich ist
Der Referent mag ja schon zu viele Beziehungslieder gehört haben, für mich waren diese Arten der Betrachtung neu. Eine (besonders live) charismatische Sängerin, neue Betrachtungen eines alten Themas, vermittelt mit dem Spass an der Musik. Ich hab lange nicht mehr so viel Freude beim Hören gehabt.
Sehr schön !!!!
erinnert mich ein wenig an das Album von Kaki King/Dream of Revenge
Die Alin Coen Band ist am 30.Juli am bodensee/Kulturufer Friedrichshafen
Freu