laut.de-Kritik

Supertramp, Jamiroquai und Stones im Einklang mit der Natur.

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1845 begab sich Henry David Thoreau für zwei Jahre in eine Blockhütte bei einem Weiher namens Walden in der Nähe von Concord, Massachusetts. "Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte", fasste er seine Erfahrungen im 1854 erschienen Klassiker "Walden" zusammen.

Amber Rubarth machte während der Corona-Pandemie im Staat New York einen ähnlichen Schritt. "Ich bin in die Wälder zwischen einem Bach und einem Wald gezogen, und als die Welt stillstand, begann ich, etwas über das Land um mein Haus herum zu lernen - wo die Füchse lebten, welche Wildblumen zuerst aufblühten, wo Rehbabys geboren wurden und wann ihnen das Geweih wuchs, welche Pilze auf welchen Hölzern wuchsen, wie der Bach anstieg und abfiel, wo Mond und Venus den Himmel je nach Jahreszeit kreuzten. Es war das erste Mal, dass ich lange genug an einem Ort war, um diese Dinge wahrzunehmen, und es hat alles in mir verwurzelt und meine Verbundenheit mit allem wiedererweckt", erklärt sie.

Statt wie Thoreau ab und an zuhause vorbeizuschauen, um mal etwas Ordentliches zu essen (Mamas Apfelkuchen!), sorgte Rubarth selbst für ihren Unterhalt, indem sie auf einem Bio-Bauernhof arbeitete. "Ich war fasziniert von der Art und Weise, wie Landwirte dem Land, von dem sie ernten, etwas zurückgeben, indem sie etwas anpflanzen, das den Boden selbst nährt und bereichert; sie tun dies regelmäßig für die Nachhaltigkeit und die Gesundheit des Landes. Ich begann, mein eigenes Leben durch diese Brille zu betrachten - wie gebe ich dem, was mir gegeben wurde, etwas zurück? Ich dachte an alle, die mich im Laufe der Jahre so wunderbar unterstützt haben, an das Land, das mich ernährt und inspiriert", so Rubarth weiter.

Während Thoreau Stift und Papier nutzte, um seine Gedanken aufzuschreiben, griff Rubarth zur Gitarre. Überraschenderweise nicht, um neue Stücke zu schreiben, sondern um Coverversionen zu spielen, die sie an Ort und Stelle mit einem Tonbandgerät aufnahm. Die Stücke ordnete sie so, dass die Reihenfolge eine eigene Geschichte erzählt: Vom entfremdeten zeitgenössischen Leben in der Stadt hin zu einem eher zeitlosen auf dem Land im Einklang mit der Natur.

Marvin Gayes "Mercy Mercy Me (The Ecology)" bietet allein schon wegen dem Titel einen gelungenen Einstieg - auch wenn Joni Mitchells "Big Yellow Taxi" ebenfalls gut gepasst hätte. Ihre ruhige Stimme begleitet Rubarth neben der Gitarre mit eigenem Hintergrundgesang, der so harmonisch klingt, dass einem ganz warm ums Herz wird. Einerseits war sie noch nie eine Musikerin von harschen Tönen, andererseits tauchte sie offenbar tatsächlich mit Leib und Seele in die bukolische Umgebung ein.

Die Entfremdung von der Natur setzte sich mit "Living Too Close To The Ground" der Everly Brothers, dem Rubarth eine Ziehharmonika hinzufügt, und "In Tall Buildings" fort, in dem sich der arme John Hartford 1971 gezwungen sah, das entspannte Leben auf dem Land gegen Anzug und Bürojob in der Großstadt einzutauschen.

So weit, so erwartbar. Dann folgen ein Lied von Supertramp, "The Logical Song", in dem Rubarth das Keyboard-Intro wunderbar mit übereinander gelegte Stimmspuren ersetzt, und die Rolling Stones. In "I Can't Get No (Satisfaction)" beschäftigte sich Mick Jagger 1965 eher mit unerfüllten Sexwünschen, auch fehlt hier Keith Richards' treibendes Riff, doch die Botschaft lässt sich halbwegs übertragen. Mitten ins Schwarze trifft Rubarth mit Jamiroquais "Virtual Insanity" ("What we're living in? Lemme tell ya / Yeah, it's a wonder man can eat at all / When things are big that should be small").

Rubarth bekanntester Song ist traurigerweise nicht ein eigener, sondern ihre Interpretation von R.E.M.s "Losing My Religion". 2016 veröffentlichte sie sie mit zarter kammermusikalischer Begleitung, hier wirkt das Stück noch zerbrechlicher, mit einer Spur Pathos zu viel. Der direkte Vergleich zeigt aber, wie ihre Stimme seitdem an Tiefe und Lebenserfahrung gewonnen hat.

Rubarths stark verlangsamte Version von "Can't Buy Me Love" der Beatles kommt nicht ans Original heran, wie auch Tracy Chapmans "Talkin' Bout A Revolution". Wunderbar dagegen ihre Klavier-Interpretation des Pop-Stücks "A World Without Love" aus der Feder Paul McCartneys, das dem britischen Pop-Duo Peter & Gordon 1964 einen Hit bescherte.

Dass Natur nicht nur bewusstseinserweiternd, sondern auch tödlich sein kann, zeigte das Schicksal von Christopher McCandless, dessen Abenteuer und Tod in der Wildnis Alaskas im Film "Into The Wild" mit Emile Hirsch in der Hauptrolle verfilmt wurde. Den Soundtrack trug Eddie Vedder bei, der hier vertretene Auszug "Society" passt also gut zum Thema.

Man sollte sich schon ein bisschen auskennen und auf Hilfe von oben vertrauen, wie auf die der Flussgöttin Oshún, die Rubarth in einem traditionellen Stück des nigerianischen Volks der Yoruba besingt. Dann kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen, so fröhlich wie Rubarth sich durch "Probier's mal mit Gemütlichkeit" (auf Englisch "The Bare Necessities") aus der Disney-Verfilmung des Dschungelbuchs pfeift.

Den Abschluss machen zwei Klassiker: Erst Paul Simons "Under African Skies", in dem Rubarth erfolgreich - und solo - in Linda Ronstadts Fußstapfen tritt, und Tom Pettys "Wildflowers", hier am Klavier und nicht an der Gitarre. "You belong somewhere you feel free", so die letzte, passende Zeile.

Die Idee mit dem Albumtitel kam Rubarth bei der Arbeit auf dem Bauernhof, der mit Zwischenfrüchten arbeitete, um die Felder auf natürliche Weise zu düngen. "Cover Coop" lautet der englische Begriff dafür, natürlich ein Wortspiel mit dem Inhalt des Albums, auch wenn sie die Stücke so sehr zu ihrem Eigen macht, dass sie fast wie eigene klingen.

Wie schon beim Vorgänger "Wildflowers In The Graveyard" (2018) masterte Produzent Matt Andrews das Album in Nashville. Erhältlich ist "Cover Crop" nur als Download oder Stream. Wer es direkt auf Rubarths Webseite bestellt, erhält dazu ein Päckchen mit Saatgut und dem Albumcover der libanesischen Künstlerin Mirella Salamé.

Etwas gehässig könnte man einen Motown-Klassiker zitieren, den auch die Beatles 1963 coverten: "The best things in life are free / You can give them to the birds and bees / And give me money", doch das würde am Ziel vorbeiführen. Auch wenn manche Stücke besser gelingen als andere - Top: "The Logical Song", nicht ganz so: Beatles und Rolling Stones - hat Rubarth ein Album aufgenommen, das der Seele gut tut.

Trackliste

  1. 1. Mercy Mercy Me (The Ecology)
  2. 2. Living Too Close To The Ground
  3. 3. In Tall Buildings
  4. 4. The Logical Song
  5. 5. (I Can't Get No) Satisfaction
  6. 6. Virtual Insanity
  7. 7. Losing My Religion
  8. 8. Can't Buy Me Love
  9. 9. Talkin' bout A Revolution
  10. 10. A World Without Love
  11. 11. Society
  12. 12. Idé Werewere Ni'ta Oshún Idé Werewere (Song for Oshún)
  13. 13. The Bare Necessities
  14. 14. Under African Skies
  15. 15. Wildflowers

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