laut.de-Kritik
Easy-going, tief schürfend.
Review von Philipp Kause"Kennst du das? Wenn du frei hast, und du weißt nicht mehr, wie's geht?", fragt Ami Warning auf "Auszeit". Burn-Out ist, wenn man nicht mehr merkt, dass man eine Pause braucht. Lena hat es gerade zu spät gemerkt, nachdem die körperlichen Symptome überhand nahmen. Lena ist 33, die Münchnerin Ami Warning 28.
Beide leben in Metropolen, und dort erleben viele noch jüngere Menschen um einiges drastischer folgende Mischung: Dauerhafte Resignation ("Leichter wär's, ich reiß' das zweite Bein gleich raus"), innere Leere ohne Kompass ("ich red schlecht über deine Fotos und mach sie dir dann nach / irgendwie sind wir alle gleich"), nihilistische Gleichgültigkeit ("Erfolgschancen Prüfungsdruck Reichtum Modeschmuck Freizeit Ehrgeiz Inflation kein Fleiß kein Fleisch (...) sich nichts gönnen"), Reizüberflutung ("kennst du das? Mit dem Handy in der Hand und dem Rücken an der Wand?"), Zukunftsangst (ich hab Angst vor der Zukunft im Großen wie im Kleinen"), Erschöpfung ("Gestern war Regen, heute auch / Von da, wo wir jetzt stehen, geht's nur noch bergauf") und Konzentrationsmangel ("ich brauch ne Pause, aber ich kann es mir nicht erlauben") - Zitate aus "Rastlos", "Meer Will Ich", "Weg", "Bergauf" usw. Es wird Zeit für eine "Auszeit".
Ami führt uns in dieses Zeit-Fenster mit. Denn "keiner kann immer funktionieren", wie sie in "Meer Will Ich" klar stellt. "Ich streng mich tagsüber so sehr an / dass ich nachts nicht schlafen kann", analysiert sie in "Weg". Dahinter lauert der dauernde selbst gemachte Druck: "Du hast schon immer gedacht / du musst funktionieren / keine verschwendete Zeit / kein Ausprobieren."
Diese Zeile stammt aus "Wie Lang?" Abgesehen von vereinzelten Soul-Bläsern in genau diesem Stück greift Ami auf Sound-Komponenten zurück, wie sie in der vermeintlichen Zielgruppe der sich selbst Suchenden besonders populär sind: Deutsch-Pop, Hip Hop, kurze Formate, algorithmisch sogar von Spotify verwertbar.
"Auszeit" ist ein Themenalbum und musikalisch recht homogen gebaut. Am tanzbarsten gerät der entspannte Mittelteil mit wenig Message und viel Groove in den zwei Tracks mit Gästen, dem Über-Ohrwurm "Liebe Ist Laut ft. Mola" mit Wumms-Bässen und dem blubbernden "Bin Noch Wach... Wo Bist Du ft. Oehl" samt Pump-Beats, verwaschen abgemischten Stimmen, Androgynität, Assoziationen, Gefühlen und Inhalten von Sprachnachrichten, zu denen die dominanten Schläge aus dem Drum-Computer peitschen. Die österreichischen Charts-Stürmer Oehl entstammen dem Electropop.
Die Melodie klingt ein bisschen nach The Whos "Behind Blue Eyes".
Ich vernehme auch einen Trip Hop-Vibe durch die gesamte Platte hindurch. "Auszeit" gesellt sich gut neben Klassiker wie "Black Milk" auf "Mezzanine", und Ami legte schon auf ihre ersten beiden englischsprachigen Indiepop-Alben einen düsteren Schleier, wie er dem Trip Hop-Genre grundsätzlich zu Eigen ist. Das zuletzt releaste "Kurz Vorm Ende Der Welt" (2022) war auf Deutsch und ziemlich introspektiv.
"Auszeit" schiebt im Kontrast dazu viel mehr klar benannte Alltags-Erlebnisse nach außen und läuft teils recht hartnäckig auf satten Hip Hop-Unterlegern. Rhythmisch und ästhetisch gesehen täuscht aber selbst Feature-Gast Fatoni nicht darüber hinweg, dass Rap eher die Rand-Spielart hier ist. Denn in der Hauptsache koppelt "Auszeit" einen easy-going-Vibe mit den ziemlich tristen Inhalten. Einige Tracks wie das Titelstück und "War Dabei ft. Fatoni" sind fettester Urban Groove und machen das Leid locker hörbar.
Da wäre einmal der Weltschmerz, darüber, dass Dinge enden ("War Dabei ft. Fatoni") und Illusionen platzen: "ich hab gedacht wir wär'n die beiden / die für immer die beiden bleiben / alles weg - neu anfang'n." - Gast Fatoni versichert tröstend "die Zeit heilt alle Hypes / auch nach 'ner harten Zeit." Humor und Wortwitz relativieren die innere Leere, so rettet man sich über den Tag. Fatoni verwurstet frühere Musik-Hypes, zitiert "Liebe ist dumm, wie hat Trio gesungen", Rio Reisers "Junimond" und Jay-Zs "Hard Knock Life" erfahren eine kurze Würdigung.
Rundherum rüttelt "Auszeit" wach. Die Kernaussage der Platte: Finde zu deiner inneren Mitte statt dich mit anderen zu vergleichen, verwirkliche das, was du willst und beute dich dabei nicht selbst aus, sondern achte darauf, dich immer wieder aufzutanken. Das ungünstigste aller Szenarien wäre es, auf ein ominöses 'Später' hin zu leben, das dann wahrscheinlich niemals so eintreten wird, wie man es geplant hat: In 41 Jahren, meint Ami, in der Rente, mit "Haus und Garten, ganz für uns allein / 41 Jahre, dann hat es sich ausgezahlt / ja, so hast du dein Leben dir ausgemalt (...) In 41 Jahren, da werden wir tanzen / wenn wir's noch können."
Sogar Reisen stellt sich auf "Auszeit" als Stressfaktor dar oder zumindest als ambivalent. Reisen ist Freizeit-Stress. Ein Tapetenwechsel wäre dann doch wieder wichtig, um Abstand zu gewinnen, Thema in immerhin vier Songs. Letztlich bleibt aber dann sogar das Meer in "Meer Will Ich" ein Wunsch, ein intensives Bedürfnis, ein Traum. Damit rinnt das Album aus und lässt einen nachdenklich zurück.
"Kennst du das? Wenn es eigentlich gut läuft, aber sich statt der Zuversicht und dem Glücklichsein Angst häuft?" lautet eine der vielen und die hier zentrale Frage. - Also, besonders viele Jüngere kennen das, seit ihrer Pubertät oder ihrem Erwachsenwerden. Statistisch gesehen saßen schon vorm Lockdown in einer Schulklasse zwei bis drei Kinder mit diagnostizierten seelischen Problemen und Störungen, die Dunkelziffer vergrößert die Quote, die Jahre von Kontaktsperren bis Krieg taten ihr übriges.
Die 28-jährige Singer/Songwriterin des ersten Digital Native-Jahrgangs, in dessen Pubertätsbeginn die Einführung des Smartphones fiel, trifft - selbst eher genervt von TikTok und Co. - mit dem Album einen Nerv, "zwischen Angstzuständen und Depression", wie sie in "Weg" singt.
Im Laufe von zehn Jahren hat sich ihr Stil ganz schön entwickelt: Anfangs noch mit Instrumenten wie der indischen Ektara-Laute, der lateinamerikanischen Cajón-Kistentrommel, der Slide- und der Tres-Gitarre - alles gespielt von ihrem Papa Wally, mit dem sie bis heute zusammen tourt. Heute geht sie mit Keyboards selbst ans Werk, 90 Prozent des Albums sind von ihr komponiert und getextet. Sie hat sich adäquate Räume für ihre Geschichten geschaffen, für warme Instrumentierung und intensive Gesänge mit ihrer dunklen Stimme.
Besonders schön gelingt dieses Gesamtkunstwerk in "Rastlos", dem in meinen Ohren interessantesten deutschen Tune des bisherigen Pop-Jahres. "Auszeit" ist eine weise Platte und verpackt die Weisheit leicht verdaulich, allerdings ohne das Publikum zu schonen. Wir müssen mehr auf unsere seelische und körperliche Gesundheit achten - das schreit diese Scheibe jedem ins Ohr, auch wenn Amis Schreie sanft und kuschelig klingen.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Jay-Zs "Hard Knock Drive"
Peinlicher Fehler für eine Musikseite.
Stimmt, es weiß doch jeder, dass das Lied von Dr. Evil und Mini Me ist
Ich mag sie. Was wollt ihr tun???
Das letzte hat mir mit seinem düstereren Vibe besser gefallen, aber an der ist doch nichts verkehrt.
So die Musik, die man sich von Clueso wünschen würde, wenn man ihn aus Versehen aus einer Öllampe befreit hätte und sich deswegen was von ihm wünschen müsste.
Der Song mit Oehl ist ziemlich nice.