laut.de-Kritik
Lässige Oldschool-Hip Hop-Vibes aus Chile.
Review von Dani FrommPlädoyers für Gleichberechtigung und Hoffnung, Songs gegen Krieg, Sexismus, Rassismus, Nationalismus, gegen die Zerstörung der Umwelt, gegen Diskriminierung, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewinnsucht, das Ganze garniert mit traditionellen, folkloristischen Elementen: Klingt eigentlich wie die Bauanleitung für linksbewegten Hippiescheiß.
Oft genug möchte man die Inhalte unterschreiben, bleibt aber trotzdem leise peinlich berührt zurück, weil man sie gar so aufdringlich und dabei so bemüht aufs Brot geschmiert bekommt. Um jemanden zu finden, der die frohe Botschaft von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verkündet, ohne dabei wie der dröge Moralapostel zu wirken, muss man zuweilen ganz schön weit über den Tellerrand hinausspähen.
So weit mitunter, dass es schon einmal zwei Jahre dauern kann, bis eine Platte ihren Weg auch auf den hiesigen Markt findet: In ihrer Heimat veröffentlichte Ana Tijoux ihr Album "Vengo" ursprünglich schon 2014. Die Reifezeit hat der Platte nicht geschadet, höchstens uns, die wir zwei Jahre lang in Ahnungslosigkeit verharren mussten, während sie die Chilenin anderswo längst als Südamerikas Antwort auf Lauryn Hill feierten.
Warum, liegt auf der Hand: Ana Tijoux hat nicht nur etwas zu sagen und kann singen, sondern flowt in erster Linie wie ihr "Rio Abajo". Variantenreicher und zugleich cooler lässt sich ihre rauchig angeraute Stimme kaum einsetzen, wobei ihre Rap-Parts immer noch einmal mindestens drei Nummern lässiger wirken als der auch schon mehr als brauchbare Gesang.
Die musikalische Ausgestaltung erledigt den Rest: Obwohl Flöten und Percussion ständig die südamerikanische Tradition hochhalten, verströmen die Produktionen fast klassischen Oldschool-Hip Hop-Vibe. Druckvolle Bässe und rhythmische Spielereien sorgen für Dynamik. Gitarren, auch einmal ein dunkles Klavier oder Streicher und vor allem die allgegenwärtigen Bläser ergänzen das farbenfrohe Bild.
"Creo En Ti" oder, noch deutlicher, das Intermezzo "Los Diablitos" pumpen Straßenfest-, beinahe schon Bierzelt-Atmosphäre, ehe unmittelbar anschließend die nächste Skizze, "Interludio Agua", mit der Illusion von Weite, Natur und Einsamkeit genau gegensätzliche Assoziationen weckt.
Überhaupt illustriert die Instrumentierung bestens, worum es jeweils gerade geht. Militärische Rührtrommeln scheppern durch den Anti-Kriegssong "Oro Negro". Wasser, lebensspendendes Element, aber auch reißende Naturgewalt, strömt aus jeder Zeile von "Rio Abajo". "Todo Lo Sólido Se Desanece En El Aire" zitiert im Titel das kommunistische Manifest und setzt zugleich auf Reggae: gar kein Widerspruch, wie sich zeigt.
Ana Tijoux und ihre Mitstreiter zimmern so hochgradig funktionale trojanische Pferde, mit denen sich ihre Ideen hoffentlich auch in die eine oder andere vernagelte Rübe schummeln lassen. Bei aufgeschlossenen Geistern rennt "Vengo" ohnehin offene Tore ein.
1 Kommentar
Sehr geile Platte. Liegt aber schon seit über einen Jahr bei mir rum.