laut.de-Kritik
Es knallt aus den Boxen: Mehr Rhythmus, weniger Melodie.
Review von Yan VogelWie beeinflussen Worte Musik. Wie evoziert Musik Worte? Steckt hinter dem musikalischen Gepeitsche und Gepfeffere im Track "Backpfeifengesicht" tatsächlich so etwas wie die musikalische Entsprechung einer Backpfeife? Oder könnte der Titel auch Horst und Susanne heißen?
Bei Animals As Leaders steckt mit Sicherheit hinter jedem Song ein Konzept, dessen Quintessenz im Titel verborgen liegt. Allerdings kann der Hörer sich den Tracks auch unbefangen nähern, sie zu Schall und Rauch pulverisieren und eigene Ideen und Vorstellungen walten lassen. Schließlich kommen alle Lieder anders als bei Genre-Kollegen wie Between The Buried And Me, The Dillinger Escape Plan und Meshuggah ohne gesungene Worte aus.
Steckte hinter "The Joy Of Motion", nomen est omen, noch Genuss und Spaß, so kommt "The Madness Of Many" deutlich vertrackter und sperriger daher und bedarf erheblich mehr Anstrengung. Die Produktion auf dem Vorgänger gelang sehr glatt. Viele Synthesizer trübten den mitreißenden Livefluss, den das Trio entfachen kann. Insofern geben Tosin Abasi, Javier Reyes und Matt Garstka 2016 deutlich mehr Widerworte, klingen basischer und knallen direkt aus den Boxen. Mehr Rhythmus, weniger Melodie lautet die Devise.
Die Parts jenseits tonaler Entsprechungen und rhythmischer Anhaltspunkte häufen sich und münden oft in eine Art musikalischer Dadaismus. Was nicht heißt, dass es keine süß tönenden Taten zu bestaunen gäbe. Rarer gesät, packen sie einen umso mehr, schüren sie doch häufig die drängende Sehnsucht, einer fiebrigen Fata Morgana gleich, bevor endlich die rettende Oase tatsächlich naht.
Tosin Abasis Weg mündete schon früh in Eigenständigkeit, von der viele Szenebands nur träumen können, da sie zu stark einer Retro-Richtung angehören oder auf Teufel komm raus innovativ sein wollen. Wie gewohnt zupft der Meisterklampfer elektrisch und akustisch allzu Fingerfertiges, setzt allerdings stärker auf seine Bandmates. Ohne externen Produzenten erledigt die Band auch alles alleine. Dem Do It Yourself-Gedanken schließt sich der demokratische an, alle Mitglieder ins Songwriting einzubinden.
Die Platte verbindet so den Hirnschmalz dreier Ausnahmemusiker. Dies führt wie in "The Brain Dance" tatsächlich zu einem Tanz durch die Irrungen und Wirrungen des Geistes, kunstvoll und theatralisch aufgeführt. Hier agiert die Band wie ein Herz und eine Seele. Manchmal - bei "Arithmophobia" dürften die irren Rhythmen und verqueren Harmonien sicherlich einen Doktortitel in Mathe wert sein - tönt das Ergebnis fast fernab jeglicher Vorstellungskraft. Was Paradox klingt, trifft dann ebenfallszu: ein Seele ohne Herz.
Gerade verzerrt klingen Abasi und Co. aufgrund der rigiden Umsetzung mit einem harschen, rudimentären Sound oft ein wenig seelenlos. Unverstärkt packen sie dafür umso mehr zu, wobei der überhastet wirkende Schlusstrack "Apeirophobia" die Ausnahme von der Regel bildet. In genau diesem Spannungsfeld liegt auch der Reiz der Platte: zwischen technisch technoiden Elementen in "Ectogenisis" oder "Cognitive Consortions", die äußerste Großhirnaktivität erfordern und dem Flow, der sich beim Genuss von Stücken wie "Inner Assasins", "Private Visions Of The World" oder "The Glass Bridge" einstellt.
Für alle, die an der Band die Unberechenbarkeit und Kompromisslosigkeit lieben, sei eine klare Kaufempfehlung ausgesprochen. Diejenigen, die mit "The Joy Of Motion" Feuer gefangen haben, müssen erheblich mehr Zeit für "The Madness Of Many" aufbringen.
3 Kommentare mit 13 Antworten
Nach wie vor unhörbares Gegniedel, dem jedweder Charme abgeht. AAL dreamtheaterisieren erfolgreich ihr Genre.
Das Schlagzeug ist so totkomprimiert, dass es schmerzt.
Dann lieber Contortionist oder Plini. Letzterer ist ein Musterbeispel für hörbare (und hörbar produzierte) Instrumental-Mucke.
Y.Vogel ist auchn Schwaller vorm Herrn. Scheint Mode zu sein, via Rezension der verlorenen Poeten-Karriere nachzusinnen.
Unhörbares Gegniedel? Das kann man allen Bands aus diesem Genre vorwerfen. Gerade AAL haben etliche Tracks mit starken Melodien und Wiedererkennungswert. Wie meinte mal jemand: "If you play something fast, play something good fast." Trifft imho auf AAL zu.
Aber wir müssen uns auch nicht darüber streiten, ob bei Gniedelband 1 mehr Charme und Emotionen rüberkommen als bei Gniedelband 2. Hier trifft einmal mehr zu, dass dies reine Geschmackssache ist.
Wie jetzt c452h, Musikgeschmack ist reine Geschmackssache und subjektiv?
Donnerwetter, das ist eine offenbarende Erkenntnis!
Danke
@ Der Schwinger:
Plini ist übrigens wirklich König, das vor kurzem erschienene Album und auch die Eps davor sind top!
Nichts zu danken! Plini ist natürlich auch top, das steht außer Frage.
Klingt aufs erste hören überraschend beschissen, insbesondere der Sound. Kann Schwinger nur zustimmen. Die Drums klingen besonders grauenhaft.
Hm. Ich hatte mir was davon versprochen. Well fuck.
Vielleicht wächst es ja noch.
Hast du es überhaupt schon gehört, c452h, oder lässt du nur wieder den bedingungslosen Jubelperser raushängen?
Ja, gehört habe ich es schon, denn es erschien bereits am letzten Freitag. Diskussionen, in die solche Schlagwörter wie Charme, Emotionen oder gar Seele hineingeworfen werden, erübrigen sich schon von vornherein, denn entweder berührt einen die Musik aus diesem Genre auf irgendeine Art und Weise oder sie tut es nicht. Darum kann ich mit obigem Vorwurf der Gniedelei rein gar nichts anfangen. Das ist und bleibt subjektiv. Zur Produktion kann ich nichts sagen, da ich nicht mehr das allerbeste Gehör habe. Das sollen andere beurteilen. Dass dieses Album rhythmusorientierter als die Vorgänger ist, kann ich bestätigen und damit sind AAL noch einmal der Stagnation entkommen. Die Frage, die ich mir stelle, ist die, ob demnächst nicht alles gesagt wurde, was es zu sagen gibt.
Kann Schwinger und battlefire auch nur zustimmen: Auch für mich will da einfach so gar kein Funke überspringen und das Schlagzeug ist ne Katastrophe. Ich sehe ja ein, dass die Jungs Meister ihrer Instrumente sind, aber mich berührt das ganze auch kein bisschen. Wirkt für mich immer wie so ne Clinic-Session Musik.
@c452h Die "Gniedelei" auf ein ganzes Genre an sich zu beziehen find ich Quatsch. Ich geb mir andere Bands durchaus, ich hab eher ein Problem mit AAL an sich. Zu klinisch was die machen..
Der Sound vermiest es mir hauptsächlich. Dass sie spielen können kört man natürlich.
Aber wegen diesem (für mich) abartigen Sound finde ich auch gar keinen Weg überhaupt in die Songs zu kommen.
@Doldo
Dem Vorwurf, dass die Musik zu klinisch, steril etc. sei, müssen sich doch irgendwann mal alle von diesen Bands stellen. Ich möchte da auch gar nicht widersprechen, den einen spricht es an, den anderen nicht.
Solche Parts wie hier von 1:48 bis 2:08 sind es, die mich bei AAL wirklich ansprechen und berühren:
https://www.youtube.com/watch?v=AsAytr9npkc
Mit den Alben von zum Beispiel Dream Theater seit 2007 hingegen, kann ich gar nichts mehr anfangen.
Die beteiligten Musiker sind untadelig und doch ist das Album scheiße.
Passiert leider häufiger als man als musikinteressierter Mensch erhofft. Sie sind hier vielleicht nicht so scheiße wie bspw. Oceansize auf "Self preserved...", liegt aber wohl hauptsächlich daran, dass ich persönlich zu AAL niemals auch nur ein annähernd so intimes Verhältnis wie zur Musik von Oceansize hatte.
Also bitte souli aber “scheiße“ ist dann doch etwas sehr übertrieben für “Self preserved...“.
Das können Oceansize deutlich besser, ja aber alleine “Silent/Transparent“ und “Oscar Acceptance Speech“ sind zwei der größten Oceansize Knüller und lassen das Album weit weg von “scheiße“ klingen!
Oceansize und dieses Wort überhaupt nur in einem Satz zu lesen, sollte eigentlich strafrechtlich geahndet werden
So gut wie auf Effloresce waren Oceansize danach nie wieder. Dieses Album ist für mich immer noch ein Monument dafür, was abwechslungsreiche und harte Gitarrenmucke in den 00ern betrifft. Die anderen Alben waren natürlich immer noch ganz gut.