laut.de-Kritik
Annett zeigt eindrucksvoll, wer die wahre Catwoman ist.
Review von Artur SchulzWie aus dem Nichts säuselt seit geraumer Zeit eine bislang unbekannte Stimme sinnlich und lasziv das Bekenntnis "Ich will doch nur spielen". Die Zahl der Radiosender, die den Song "Das Spiel" ins Programm nehmen, wächst stetig. Und während man langsam beginnt, rettungslos dieser süffigen Verführung samt ihrer Widerhaken zu verfallen, liegt auch schon das erste Album der 25-jährigen Newcomerin Annett Louisan vor.
Eine nicht unerhebliche Anzahl junger deutschsprachiger Bands und Künstler enterten in der Vergangenheit sehr erfolgreich Charts und Hörerherzen. Dies ließ Blumfelds Jochen Distelmeyer in einem unlängst veröffentlichten Pamphlet schon argwöhnen, dass eine "neue Deutschtümelei" drohend den nationalen Musikhimmel verfinstere. Nun taucht da wieder ein debütierender Name auf, der in einem Interview auch noch bekennt: "Der Hauptgrund, weshalb ich mich entschieden habe, deutsch zu singen war, dass ich gemerkt habe, dass man in seiner eigenen Muttersprache einfach viel mehr ausdrücken kann. Man hat viel mehr Möglichkeiten, mit Gefühlen zu spielen und Ideen rüberzubringen ..."
Ist Annett Louisan damit des vom gestrengen Distelmeyer überall gewitterten Post-Germanentums schuldig? Mitnichten. Eher erweist sich dieser Standpunkt als eine sehr erfreuliche und vor allem normale Entscheidung. Ihre Liederlichkeiten überraschen und gefallen durch die große Fülle an frischen, griffigen Formulierungen und so manch originellem Textbonmot. Vom Händchen für einprägsame Melodiebögen ganz zu schweigen.
Annett Louisans Stimme polarisiert sicherlich. Entweder man liebt sie oder verwünscht sie schon jetzt in finsterste Abgründe musikhistorischer Verdammnis. Tatsächlich aber ist ihre ganz eigene Art der Interpretation bereits mit dem ersten Werk unverwechselbar. Die 1,52 Meter kleine Sängerin entführt den geneigten Hörer mit kokett gehauchten Bekenntnissen und charmant intonierten Boshaftigkeiten in eine musikalische Welt, die nun gar nichts mit einer gängigen und möglichst umsatzkompatiblen neuen deutschen Poprock-Intention zu tun hat.
Sparsam-effektiv instrumentiert mit z. B. Gitarre, Kontrabass, Violine und dezentem Schlagzeug schafft Produzent und Texter Frank Ramond eine sehr entspannte Atmosphäre, die niemals in Belanglosigkeiten austauschbarer Easy Listening-Beliebigkeiten abgleitet. Im Gegenteil. Jeder der 13 Songs auf dem Album (darunter der Radiomix von "Das Spiel") besticht durch seine liebevolle, filigrane Note in den eleganten, zum Teil folkangehauchten und stark von französischen Chansons inspirierten Arrangements. Gut gesetzte Jazzsplitter lockern zusätzlich auf. Harte (musikalische) Töne sucht man hier vergebens; selbst eine sporadisch eingesetzte E-Gitarre bleibt stets dezent und höflich im Hintergrund. Bei den Texten ist das dann schon eine ganz andere Sache.
Es ist eine breite Palette weiblicher Befindlichkeiten, die Annett mal augenzwinkernd, mal nachdenklich, mal verspielt, aber durchweg gelungen und glaubwürdig vorstellt. Zunächst scheint es, dass die Männer gar nicht gut wegkommen bei der Wahlhamburgerin: "Ich halte durch/und Du den Mund" ist das Fazit gegenüber dem nur optisch ansprechenden Gelegenheitslover in "Der Schöne". Sie gibt auch das Tempo vor: "Du solltest nicht mehr zögern/keine Zeit mehr verlieren/morgen kannst Du mich vielleicht nicht mehr domestizieren" wird der Partner in "Die Gelegenheit" zurechtgewiesen. "Die Katze" kommt dann endgültig zur Sache: "Sie zählt Deine Mäuse/sie mordet sie leise/und gründlich“. In "Die Dinge" stellt Mademoiselle Louisan schließlich fest: "Ich brauch sehr viel Nähe/und die möglichst komplett/Mit Dir kann man gut reden/doch er ist gut im Bett." Starker Tobak!
Aber man kann Annett als Mann nicht böse sein, selbst bei so harschen Worten. Denn derart entwaffnend, wie sie diese Zeilen dahinschnurrt, ist Widerstand wahrhaftig zwecklos. Zumal sie sich oft genug auch von der anderen Seite gibt, denn : "Ich werde gern verführt/bin schließlich nicht aus Eis/ich bin nicht kompliziert/Du knackst mich garantiert … wenn Du die Formel weißt". Diese Formel ist gut versteckt in den Tracks von Bohème, durchaus als gewisser Leitfaden zu sehen, aber zu 100 Prozent wird man(n) dann doch nicht fündig. Was natürlich den Reiz des persönlich Interpretierbaren weiterhin wohlkalkuliert offenhält.
Ein besonderes Highlight ist das treffend instrumentierte und amüsant getextete "Die Katze", zeigt Annett doch eindrucksvoll, wer die wahre Catwoman ist. Miau! Glänzend umgesetzt in "Das Gefühl" die Idee, das (mal wieder) ganz große (Liebes)Gefühl als beliebiges, immer wieder austauschbares Warenhauskleidungsstück zu interpretieren: "Ewigkeiten kommen und gehen/hab sie mehr als einmal anprobiert/ hier zu eng/da zu streng/irgendwo kneift es mich/zu skurril/nicht mein Stil/das Gefühl/steht mir nicht." In "Daddy" führt Annett eine Art imaginäres Gespräch mit dem Vater, den sie im wirklichen Leben (als Folge der frühen Scheidung ihrer Eltern) nie hatte, und dies nicht in einer weinerlichen, betulichen Liedermachertradition, sondern – eben ganz und gar Louisan.
Und damit überzeugt "Bohème" als in sich stimmiges, intensives und schon erstaunlich abgeklärtes Debüt. Ein paar wenige Längen dann und wann seien herzlich gern verziehen, wenn man dafür eine ungewöhnlich hohe Zahl an hörenswerten, überzeugend präsentierten Songperlen erhält, die sich zudem noch durch einen sehr hohen Grad an Intimität und Frische auszeichnen. Also, Jochen Distelmeyer: Nur keine Angst! Annett Louisan will ja schließlich nur spielen. Und: Seit Marylin Monroes "I Wanna Be Loved By You" hat niemand mehr den Hörer so verführerisch mit sinnlichen Bap-Di-Bap-Da-Baba-Dibu-Süßigkeiten betört.
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