laut.de-Kritik
Vertonte Bravo für Ü40.
Review von Philipp KauseEs schwankt einiges, schon im Opener von Annett Louisans Live-Doppelalbum. Das Klavier wippt im Bar-Jazz-Rhythmus. Ob Polyamorie, Lebensabschnittsgefährten oder der eine oder keine, da legt sich "Kleine Große Liebe" nicht fest. "Alle Lieben meines Lebens waren gut, so wie sie kamen, ooh ooh ooh". Dadaismus ersetzt Selbstreflexion, Wortfetzen taumeln: "Nie mehr vielleicht / Und ein schwerer Fall / Mittel aller, eins a / geht so, einfach der Beste / Und so naja." Louisans Stimme eiert, zwischendurch nimmt sie Anlauf zu koketten Kieks-Tönen, die klingen, als ob sie auf einer Seifenspur im Bad ausrutsche.
Besonders bei ihrer Zeile "es war ganz doll 'du und ich'" schwankt sie zwischen Kinderlied im Sprachregister und Anzüglichkeit im Inhalt: "Das mit uns war keine Affäre / Auch die Liebe war es nicht / Das mit uns war keine 'Sache'. / Es war ganz doll 'du und ich' / Allein dafür lieb' ich dich." - Klingt noch schlüpfriger, als die Damen an Türen einschlägiger Etablissements an der Reeperbahn die Passanten ansprechen. Unweit von dort entstand diese Scheibe: "Live aus der Elbphilharmonie Hamburg".
In Louisans Ansagen erfahren wir, dass sie nicht fähig ist zu pfeifen und dass sie im Lockdown über Erwartungen der Mitmenschen an sie nachgedacht habe, wofür sie jedoch nur milden Applaus erntet. Selten spricht sie Überleitungen. "Wisst ihr, dass ich auch Gedanken lesen kann? - Ich kann das ganz gut! Ihr denkt euch bestimmt (Schweigepause) Die ist ja wirklich so klein (großes Publikumsgelächter)".
Der Sound pflegt an mancher Stelle sogar tanzbaren Schwung. "Drück Die 1" reitet stringent auf Kickdrum und Klaviertasten - einsames Highlight! Der Refrain "bapp-bapp-bapp" eignet sich, wie man hört, zum Mitklatschen. "Blutsschwestern" und "Babyblue" wagen pulsierendes Midtempo. Ansonsten regiert Schmalz, den man mit zunehmender Spieldauer als meist zu lahm empfindet. Weil zu viel vom Gleichen kommt. Aber auch angesichts dessen, wie die Lyrik auf der Stelle tritt und wie sich Annetts Stimme meist auf einer 'ich-bin-ein-naives-und-niedliches-aber-durchtriebenes-Mädchen'-Piepsigkeit und auf einer sich abnutzenden 'ich-vertrau-euch-sehr-persönliche-Geheimnisse-an'-Modulation fest fährt.
Eindampfen kann man die ganze Attitüde auf diese Strophe in "Das Große Erwachen (... Und Jetzt...)": "Ich hab' mich benomm', so als hätt' ich Stil / noch ein Schlückchen Sekt, ach bitte nicht so viel / Ich hab' mich bemalt damit du mich siehst / Ich hab' mich geaalt wie ein kleines Biest. / Ich war die blonde Elfe mit gesenktem Blick / Doch das war nur ein Trick." Immerhin gelingt hier der Chanson-Ansatz vortrefflich. Musikalisch zumindest. Der Blues-Dub-Fusionjazz "Das Alles Wär Nie Passiert" über einen nächtlichen Filmriss ragt als dritter Treffer heraus. Noch ein Sekt-Song. Annett erzählt gern von Prosecco und von Leuten, die Thorsten heißen. Dabei wurde wohl manches raus geschnitten. Wie das Hamburger Abendblatt vom tatsächlichen Abend der Show berichtet, "unterhalten Anekdoten wie Louisans Ausflug in Susis Show Bar, wo Scooter-Partyviech H.P. Baxxter sie angeblich auf einer Sektrechnung von 900 Euro sitzen ließ."
In "Babyblue" verblüfft Annett mit ihrer Zuordnung "Coffee to go, der ganze Hipsterscheiß", was 2023 vielleicht nicht mehr soo originell ist. Spannender wäre, wer sich Preissteigerungen von 100 Prozent binnen zwölf Monaten bei 'Coffee to go' leisten kann, und wie viel davon man getrunken haben muss, um das gesamte Konzert im Sitzen wach zu verfolgen. Zu "Babyblue" gehört ein ganzes gleichnamiges Album voll merkwürdiger Midlife-Crisis-Weltsicht. Die Sängerin mit dem großen Repertoire aus 20 Jahren Studio-CDs besitzt das Selbstbewusstsein, alle Tracks dieser Scheibe im Konzert unterzubringen und ohne gestalterisch neue Aspekte das gesamte Paket als Live-Versionen abzuladen.
Mit Augenaufschlag, den man förmlich hört, säuselt sie "Wenn ich groß bin / mach' ich den ganzen Tag Musik (...) Wenn ich groß bin / werd' ich Kind." Das ist ihr Prinzip. Gegen Kinder hat keiner was. "Ich tu doch nichts, ich will doch nur spielen", führt sie im Tiefpunkt "Das Spiel" aus, einer Sollbruchstelle zum Einnicken. Sie merkt das anscheinend und bedankt sich. "Danke fürs Zuhören", bevor der Applaus abrupt abreißt und wir - hopps - im nächsten Song landen, obwohl auf CD 1 noch genug Platz gewesen wäre, um den Wechsel zu CD 2 eine Nummer später und dramaturgisch passender zu platzieren. Die Pause war laut der Lokalzeitung in der Hansestadt tatsächlich sogar vor dem Ende von CD 1. Und die Zugaben fehlen auf CD 2.
Im Modus des erholsamen Opernschlafs kann man selbige komplett verbringen, ob Louisan nun "Verdruss" auf "Kuss" reimt, zu breitem Symphonie-Schnulz behauptet "Jetzt steh' ich hier und wiege mich / im Auf und Ab des Rock'n'Rolls" oder mit der französischen Aussprache einiger Vokabeln kämpft. Erst für den Schluss fängt sich die eintönige Kombi 'Überdrehtheit in Slow-Motion' dann wieder. Mit "Two Shades Of Thorsten" gibt es einen entspannten, nonchalanten Rausschmeißer. Als Nummern-Revue im Stile der 1930er Jahre geht die ganze Performance fraglos durch. Als zusätzlicher Pluspunkt, damit der Funke überspringt, wenn einen das alleine nicht anderthalb Stunden lang fasziniert, lässt sich bestenfalls einer ausfindig machen: Die Klangqualität ist kristallklar und ausgewogen. Da sticht die Elbphilharmonie das Studioalbum eindeutig aus.
3 Kommentare mit 9 Antworten
Was ein Unsinn diese Kritik. Da mag wohl einer die Musikerin oder keine Chansonmusik nicht. Ich war bereits auf 10 KOnzerten von ihr und sie ist eine tolle Entertainerin mit gewitzten Texten und zuckersüßer Stimme das einem das Herz aufgeht. Eins der letzten Originale in der deutschen Musikszene.
Das kommt davon wenn man einen jungen Autor Musik kritisieren lässt, die reifer als sein Lebensalter ist. Als ob die Tiktokgeneration Lebenserfahrung hätte, die sich in Annetts Texten wiederspiegelt.
1/5 für Phillip Krause, der nicht objektiv bleiben kann.
Du stehst auf die, oder?
Er will aber nur spielen.
Ich mag auch keine Chansonmusik nicht.
Ist sie dir zu schlicht?
Nicht keiner der besseren Fakes.
Herr Andrack, bist Du es?
Man man, der Post erinnert mich so sehr an Thorsten Schmidt. Dabei steht mir das Gefühl gar nicht, hab ich nur mal anprobiert. Oder bist du der, dessen Name niemals fällt, wenn man Sportmannschaften wählt? Am Ende fragt man sich: Warum erst jetzt, und nicht als sie 16 war?
So viel wie die vom pimpern singt, frag ich mich, was da Backstage so abgeht und was ihre Band dazu sagt.
Sowas kommt raus, wenn der Blinde über Farben schreibt, schade.
Annett Louisan malt? Wasserfarbkasten im vollen Effekt?
Philipp Krause ist offensichtlich kein Fan der Sängerin. Warum er nun nach der Albumkritik auch den Live-Auftritt zunichtemachen darf, erschließt sich nicht wirklich. Vielleicht macht sich der Fachkräftemangel auch in den Reihen der Kritiker bemerkbar.