laut.de-Kritik
"Sex And The City"-Stereotype und schlüpfrige Spießigkeit.
Review von Sven Kabelitz"Ich hab' dein Ding gepostet / Es kam kein Kommentar / Ich hab dein Ding gepostet / Jetzt wird mir alles klar / Kein' Sack hat's interessiert / Kein Schwanz hat's kommentiert / Das ist dein Ding / Dingelingdingding."
Eigentlich könnte man an dieser Stelle mit der Kritik aufhören. Wer diesen muffigen Wortwitz im ansonsten grausig trivialen Country-Pop "Dein Ding" ohne Schmerzen und Fremdscham übersteht und Gefallen an den letzten Annette Louisan-Alben gefunden hat, kann sich getrost auch Longplayer Nummer sechs zulegen. Für alle anderen gilt: Vielen lieben Dank, aber das war bereits jetzt "Zu Viel Information".
Dabei prangert die Sängerin, die mit Mitte Dreißig seit nunmehr zehn Jahren auf dem Lolita-Klischee herum reitet, genau dies im Titeltrack an. "Du trägst ihn links / Zu viel Information / Viagra bringt's / Zu viel Information / Ganz plötzlich stinkt's / Zu viel Information / Das ist zu viel Information." Findet sie es eben noch lustig, private Dinge anderer im Netz zu verbreiten, stellt sich ihr Standpunkt nun komplett auf den Kopf. "Wollen wir das wissen müssen? Nein, wollen wir nicht."
Eine Weisheit, auf die Louisan in ihren dargebotenen Texten besser selbst gehört hätte. "Verschmust und gemütlich / Das geht schon mal 'ne Weile / Doch man braucht beide Welten / Die heile und die geile", singt sie im schwermütigen Walzer "Herrenabend". Mehr und mehr wirkt die zwanghafte Suche nach einem verruchten und anstößigen Ausweg gestellt, plump und störend. Die unbeholfene, hölzerne Wortwahl lässt anstelle eines prickelnden Nebeneffekts nur ein langgezogenes Gähnen zurück.
Dabei kann sie auch ganz anders. Vorbei an den vielen Peinlichkeiten, finden sich schöne Kleinode voller erwachsener Traurigkeit. Je weiter sie sich von ihrem selbst installierten Habitus entfernt, desto besser funktioniert "Zu Viel Information".
Über allem thront Hildegard Knefs quälend ehrliches "Papillon", in dem Louisan, nur von einem Klavier begleitet, den akustischen Mief aus der bis 2009 unveröffentlichten Ballade schüttelt. Zwar erreicht sie niemals die Präsenz der Berlinerin, schlägt sich aber wacker. Der direkte Vergleich verdeutlicht jedoch schmerzhaft, was Louisans eigenen Stücken an Größe und Tragweite fehlt.
In "Du Fehlst Mir So" gelingt es ihr fast, trotz grundverschiedenem Ausgangspunkt, die Erinnerung an Alexandras tiefschürfende Melancholie zu transportieren. "Dann Sag Ich Es Ihr Halt" entwickelt sich zu einer Rückstrahlung eines Element Of Crime-Songs. Das Dasein eines bärbeißigen Grantlers weicht mit leichten Anlehnungen an "Bohème" dem verzweifelten Leben einer Zweitfrau, das sich auf gemeinsame Hotelbesuche mit dem verheirateten Liebhaber reduziert. "Wenn du es ihr nicht selber sagen willst / Wie du wirklich dein Verlangen stillst / Und wie wir heißen, offiziell / In dem niedlichen kleinen Hotel / Dann sag' ich es ihr halt."
Doch leider verliert sich "Zu Viel Information" viel zu oft in einer Dauerschleife aus "Sex And The City"-Stereotypen und schlüpfriger Spießigkeit. Hach, wie frivol! Mit ihrem Süßholzstimmchen säuselt sich Louisan ein weiteres Mal durch Barjazz, Chanson, Walzer und Country-Pop für den gutbürgerlichen Haushalt. Zwischen Hausmannskost und Altherrenfantasie, zwischen den nächsten Schuhkauf, die neuste Brigitte-Diät und Sex mit dem Ex passt immer noch ein wenig Roger Cicero, Ina Müller oder eben Annett Louisan. "Wir sind alle irgendwie besonders / Genau das macht es uns besonders schwer." Ach, was!
40 Kommentare mit 148 Antworten
Endlich traut sich mal ein Journalist, die Wahrheit zu sagen, anstatt ihr mit der Puderquaste hinterher zu rennen. Gratulation! Langsam aber sicher gefällt es mir hier wieder. Dieser frische Wind tut euch und dem Musikjournalismus generell gut.
Insbesondere wenn man das heuchlerische Gesülz in TV und Radio bedenkt.
früher waren wir besser
... als ihr noch lange Haare hattet!
... als man Festplatten noch beim Metzger kaufen konnte.
Gruß
Skywise
Nicht alles was hinten aus der Hose entweicht ist frischer Wind. Herr Kabeltitz sollte weniger harte Eier zum Frühstück essen, dann drückts auch nicht so beim Sch...
Schöne Rezension!
Musik für Reihenhaus-Pärchen, die im Fernseher das Kaminfeuer an haben.
korrekt, musik für valentinstag-opfer.
Ey! Nichts gegen diesen Tag!
wie darf ich das verstehen?
Die Dame hat sich in der Vergangenheit ein paar nette Lieder auf den Leib schreiben lassen. Aber irgendwann ist die ganze Chose halt dann doch ziemlich durchgenudelt.
ja. immer wenn ich denke, du kannst unmöglich NOCH schwuler werden überraschst du mich wieder und wieder aufs neue
also jetzt war ich mal auf einem Konzert und habe mir das ganze live angesehen... die Kritik an den Texten und dem altbackenem Humor und spießbürgerlichen Weltdeutungen ist wirklich berechtigt. Ich finde das sieht man auch am Publikum.
Soll jeder machen was er oder sie mag und will. ABER: ich finde auch, dass AL so als Figur, stimmlich und dem was sich manchmal andeutet, sowohl musikalisch als auch in Interviews durchaus noch etwas anderes verspricht. Mich stört nämlich besonders, dass ich ihr das nicht abnehme. Eine Frau, sogar ein bisschen jünger als ich, die in Hamburg lebt, kann einfach nicht wirklich überzeugend die Weltsicht eines kleinstädtischen westdeutschen! 1980er Jahre Spießbürgertums mit ersten Tendenzen zur Individualisierung repräsentieren. Obs lustig, tröstend oder zeitgeistig sein soll, es fehlen eigentlich immer die Wahrnehmungsebenen, die in unserer Generation längst die Selbstreflexion dauerbegleiten und damit auch bekannten Klischees und der Suche nach Antworten auf lebensphilosophische Fragen eine gewisse Ironie einhauchen könnten.
Das einzige was ich ihr wirklich abkaufe sind die melancholischen Stimmungen. Das Gefühl, Auf Dich habe ich gewartet, kleiner Augenblick, Du fehlst mir so - ganz vorne voran. Das sind wirklich schöne Stücke, wo sie auf mich sehr überzeugend wirkt und ihre Stimme absolut stimmig ist.
Und ich könnte wetten ich bin nicht die einzige, die Ihre Coverversionen bei der aktuellen Tour um Längen beeindruckender findet als das meiste was ihr eigenes Repertoire hergibt...
Wer so spitzfindig, analytisch und reflektiert auf Musik zugeht sollte mE aber sicher nicht erwarten im Dunstkreis Louisan, Cicero, Silbermond etc. emotional oder gar intellektuell abgeholt zu werden... Da musst du schon sehr viel tiefer graben
Das sehe ich genauso,Annett..,eine für mich ausnahme Künstlerin.Sie lässt einen nah an sich heran u ihre Texte,weiss man,schreibt sie mit nem Mann. Ich habe mich noch nie gelangweilt gefühlt,im Gegenteil. Nehme für jedes Konzert Schmerzen hin,denn ihre Konzerte,Lieder erreichen mich, Wie z.B. Stars,dann sags ich ihr halt,Wollen wir das Wissen? Usw.
Ich habe das Album erst vor Kurzem heruntergeladen und immer wieder gehört. Einerseits weil die Stimme manchmal so piepsig ist, dass ich den Text nicht richtig verstanden habe und unbedingt den Wortwitz verstehen wollte - andererseits weil ich die Musik entspannend und schön finde. Über das, was ich verstanden habe, habe ich mich übrigens köstlich amüsiert. Ich werde mir demnächst wohl ein Hörgerät zulegen müssen - oder ich finde den kompletten Text von "Zuviel Information" doch noch irgendwo bei Herrn Google^^