laut.de-Kritik
Die pure Brillanz für Herz und Hirn.
Review von Ulf KubankeSanfte Percussion umspült das Ohr wie der Wellengang das Flüchtlingsboot. Trauer, Ungewissheit und Heimweh schleichen sich über das ergreifende Cello ein. Dagegen rockt die Sitar entschlossen an und gewinnt. Zum Ende vereint sich alles im melodischen Rausch, der den Hörer spielend erobert. Fertig ist der optimale Opener "Boat To Nowhere". Auch der Rest von Anoushka Shankars "Land Of Gold" glänzt mit purer Brillanz für Herz und Hirn.
Die Alphafrau kann anscheinend alles. UNICEF-Botschafterin, Aktivistin, Buchautorin und Biografin von Daddy Ravi, etc. zeigen nur ein paar ihrer Facetten. Trotz des stets vollen Aufgabenzettels hat sich ihr Talent als vielseitige Komponistin auf der aktuellen Platte sogar verfeinert. Mühelos wandelt sie zwischen sanfter Klassik-Melancholie, gediegenen Jazzismen und der flammenden Exotik indischer Klänge. Ihr melodischer Einfallsreichtum gerät dabei genau so grenzenlos wie das zugrunde liegende Sujet dieser ergreifenden Refugee-Scheibe. Kein Wunder, dass das ehrwürdige und weltweit dienstälteste Label Deutsche Grammophon mit sicherem Händchen für besondere Qualitäten hier zugreift.
Wenn die weltbeste Sitarspielerin so richtig losrockt, bleibt kein Auge trocken. Übersetzte man so manchen Part dieser zehn Lieder in den Kontext der E-Gitarre, müsste sie sich keine Sekunde hinter Saitenhexern wie Jim Hall oder John McLaughlin (Miles Davis, Mahavishnu Orchestra) verstecken. Komplexer als der allermeiste Prog, launig schweifender als viele Jazz-Combos und zupackender als manche echten Rocker drückt sie den schnellen Passagen ihren Stempel auf. Das tough schillernde "Crossing The Rubicon" markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Die schmerzverzerrte Schlangentröte zum Ende dieses zehnminütigen Opus' geht hier als besonderer Coup durch.
Letzteres ist kein Zufall. Shankar versteht das gesamte Album als Aufschrei der Solidarität und des Mitgefühls mit den Elenden, die unverschuldet alles verloren. Simultan bedeutet es die zornentbrannte Anklage des kaltherzigen Europas, dessen todbringende Abschottung Shankar leidenschaftlich anprangert. Man sollte AFDlern und Pegidisten getrost diese CD zur Umerziehung vorspielen.
Die richtigen Gäste sind auch an Bord. Mit der kongenialen M.I.A. lädt Shankar das perfekt subversive Sprachrohr ein. "Jump In (Cross The Line)" adelt die britische Credibility-Queen in gewohnter Lässigkeit. Als weitere Unterstützerin von der Ikonenfront taucht Edel-Aktrice Vanessa Redgrave in "Remain The Sea" auf. Ihr deutliches wie langjähriges Engagement erhöht die Glaubwürdigkeit noch und macht auch Spaß. Die Steigerung des Tracks von einer poetischen Skizze zum überwältigenden Mantra ist einer der Hingucker der Platte.
Eine Gastrolle schlägt die prominenten Mitstreiter dennoch um Längen. Die Münchenerin Alev Lenz krönt den balladesken Titelsong "Land Of Gold" mit sehnsüchtigem Gesang, dessen emotionale Eindringlichkeit Gänsehaut beschert. Die Stimme passt sogar noch besser zu Shankars Liedern als die gelegentlichen Vocals von Schwesterchen Norah Jones auf früheren Scheiben. Sehr gern will man mehr von Lenz' Stimme auf folgenden Shankar-Platten hören.
Ohnehin wächst Anoushka auch als Komponistin und Arrangeurin besonders bei den stilleren Tracks über sich hinaus. Dem tollen Hangdrum/Sitar-Dialog von "Say Your Prayers" kann man schon nicht widerstehen. Spätestens die "Dissolving Boundries" lassen dem Hörer keinerlei Entrinnen. Unter tatkräftiger Hilfe vom sensibel anschlagenden Pianoman Mitch Jones kreuzt Shankar ihre Sitarklinge mit fließenden Tastenklängen, die das Stück zwischendurch als mitreißende Überschwemmung fluten: totales Einaudi-Niveau!
Wie bei guten Soundtracks, emanzipiert sich die Musik mit jedem Durchlauf mehr vom Grundthema und steht ganz und gar für sich selbst als Fels in der Brandung. Das Nonverbale bleibt stärker als die wortreiche Botschaft. Gut so, und viel besser als umgekehrt. Denn jedes einzelne dieser Kleinodien verdient ob seiner Perfektion ein Eigenleben jenseits des immerwährenden Gezerres und Gezänks der Menschen.
2 Kommentare
total gut
Live ist die Frau eine Wucht ... und die Band steht in nichts nach.