laut.de-Kritik
"Anton ist einer von uns", sagt Win Butler von Arcade Fire. Dieses Portrait war überfällig.
Review von Michael SchuhNach all den Jahren ist es Anton Corbijn gewohnt, mit seinem Ruf als Einzelgänger konfrontiert zu werden. Zuletzt untermauerte der holländische Star-Fotograf diesen Eindruck noch, als er die Regie der Filme "Control" und "The American" übernahm, in denen sich die Protagonisten ebenfalls für Wege fernab eines engmaschigen sozialen Netzes entscheiden.
Corbijns berufliches Netzwerk zu internationalen Pop- und Rock-Größen ist 2012 zwar größer denn je. Wie es um seine sozialen Kontakte bestellt ist, wusste man bislang jedoch nicht. Pop- und Fotografie-Kenner fordern deshalb seit Jahren eine Dokumentation über den Meister grobkörniger Schwermut in Schwarzweiß. Denn wie viele seiner porträtierten Musiker redet Corbijn nicht gerne über sich, sondern lässt lieber sein Werk sprechen.
Es verwundert daher nicht, dass er mit Klaartje Quirijns ausgerechnet einer Holländerin Einblicke in sein engeres Umfeld gestattete. Drei Jahre lang rückte sie dem Filmemacher für "Inside Out" auf die Pelle, was allein schon als außergewöhnliche Leistung betrachtet werden muss.
In Quirijns' zurückhaltender Kameraführung könnte man eine Hommage an Corbijns Werk herauslesen. Auch ihre Gewichtung seiner Lebensstationen gerät stimmig und interessant. Denn glücklicherweise vermeidet sie es, die halbe Popstar-Welt vor die Kamera zu zerren, um den Fotografen in deren immergleichen Phrasen hochleben zu lassen. Gut: Hier Martin Gore, da Bono, wer maßgeblich von Corbijns Ästhetik profitierte, darf natürlich schon einmal vors Mikrofon.
Oder Metallica: Interessanterweise besorgte Corbijn während der Doku-Drehzeit auch die Fotos zu deren viel geschmähtem "Lulu"-Projekt mit Lou Reed. In Erwartung der fünf Rockstars, die erstmals die Ergebnisse seiner Arbeit begutachten würden, läuft der ansonsten extrem abgezockt wirkende Corbijn zum einzigen Mal leicht nervös in seiner Hotelsuite auf und ab. Als das Lob später geballt auf ihn einprasselt, allen voran von Exzentriker Reed ("Das sind die besten Fotos meiner Karriere"), lacht der Holländer, beinahe erleichtert.
Überraschend offen gibt sich Corbijn, wenn es um seine Familie geht. Er erzählt von Witzen, die man über ihn als Sohn des einzigen Pfarrers im Dorf riss, und beschreibt sein diszipliniert-protestantisches Elternhaus als eher freudlose Angelegenheit, die ihn mutmaßlich in die Fotografie und die Musik trieb. Seine Schwester erhält den längsten und aufschlussreichsten Beitrag zur privaten Person Corbijn.
Er sei ein Kämpfer und würde sich nie eine Pause gönnen, beklagt diese, all seine Geschwister sorgten sich stets um die Gesundheit des berühmten Bruders. Als Corbijn mit den Spielfilmen begann habe man geglaubt, er würde seine übrigen Tätigkeitsfelder links liegen lassen, stattdessen begann er, alles parallel zu planen. Derzeit verfilmt der Holländer übrigens in Hamburg mit Philip Seymour Hoffman den Spionage-Thriller "A Most Wanted Man" von John le Carré.
"Das Image des Einzelgängers wurde mir schon oft angeheftet, aber es passt eigentlich nicht zu mir. Das hoffe ich zumindest", sinniert Corbijn an einer Stelle über sich selbst. Die Doku "Inside Out" spricht eine andere Sprache. Sie beschreibt einen Mann, der sich von seiner Leidenschaft in jungen Jahren treiben ließ und es wider Erwarten nach ganz oben geschafft hat. Deshalb reist er nun heimatlos durch die Welt und wacht in fremden Hotelzimmern auf - ein Popstar-Leben.
Ob gewollt oder nicht: Klaartje Quirijns fängt diesen Eindruck wunderbar treffend ein, als sie Corbijn bei einem Arcade Fire-Soundcheck in der Mitte einer riesigen Halle als einzigen Zuschauer beobachtet. Corbijn steht mit verschränkten Armen da, sein Rucksack lehnt an seinem Bein, er wippt zur Musik und schließt dann die Augen. Später wird Win Butler sagen: "Anton ist eigentlich einer von uns. Jeder hat das Gefühl, dass er auch in einer Band gespielt hat."
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