laut.de-Kritik
Neue Zerreißprobe für die alten Fans.
Review von Björn JansenKeine Band hat in den letzten Jahren solche Verwirrungen in meinem Kopf angerichtet wie Apoptygma Berzerk, insbesondere dank Stephan Groth. Vor einigen Jahren noch zusammen mit Covenant und VNV Nation die Helden der neuen Synthy-Grufti Bewegung und dem Mainstream gänzlich unbekannt, sind Apoptygma seit dem umstrittenen Album "Harmonizer" salonfähig geworden.
Apoptygma sind seit je her für ihr Faible für Cover-Versionen bekannt, den sie bislang nur auf Samplern, EPs oder B-Seiten ausgelebt haben. Also warum nicht einfach mal alles sammeln und ein neues Album produzieren. Das Ganze dann unter dem Motto: "Schaut her, das sind die Songs unserer Jugend und unsere Inspiration" promoten und gucken, was passiert. Böse Zungen eingeschworener Fans könnten allerdings behaupten, das sei nur die Tarnung für "Gebt mir all euer Geld".
Selbstverständlich enthalten ist die Hitsingle "Cambodia" vom letzten Album als Ehrdarbietung an Kim Wilde. Aber auch Größen wie Metallica, U2, Marilyn Manson und The Velvet Underground bekommen eine Neuinterpretation verpasst. "Sonic Diary" startet mit dem Kassenschlager und Dancefloortrack "Cambodia", der von den Medien rauf und runter geprügelt wird. Mir persönlich ist unverständlich, warum sich der Track so gut verkauft. Aber scheinbar muss er ja einer Menge Leuten gefallen.
Weiter geht's mit zwei eher untypischen, aber durchaus gelungen Balladen: "Bend and Break" von Kean und "Who's Gonne Ride Your Wild Horses". Der U2-Remix zeigt vor allem mit dem gefühlvoll gesungenen Refrain, dass Stephan sein Gespür für emotionalen, leidenschaftlichen Gesang nicht vollständig gegen stumpfe Techno-Beats eingetauscht hat. Über weite Teile des Tracks findet ein Wechselspiel zwischen Drum'n'Bass, Trip Hop und Dancefloor-Beats statt, gewöhnungsbedürftig, aber in harmonischem Einklang.
"A Strange Day" wird den alteingesessenen Fans ein Lächeln ins Gesicht zaubern, das anschließende Manson-Cover "Coma White" ihr Herz höher schlagen lassen. Das 2002 aufgenommene" Coma White" ist für mich der beste Track der Platte. Er könnte ohne Probleme seinen Platz auf "Welcome to Earth" oder "APBL 2000" gefunden haben. Düstere, fette Beats, Rhythmus und Tempowechsel überlagert vom klassischen Apop-Gesang - das tut einfach gut.
Spätestens bei "Fade to Black" ist die Welt wieder in den Fugen. Die 2000 auf der "Welcome To Earth" veröffentlichte Metallica-Neuinterpretation sorgt heute noch für überfüllte Tanzflächen. Doch leider ist mit "Shine On" wieder alles vorbei. Der Refrain im Quietscheentchen-Dancefloor-Techno hat überhaupt nichts mehr mit der einstigen Tiefgründigkeit von Stephan Groth & Co. zu tun. Wer allerdings "Cambodia" mag, wird "Shine On" lieben.
Von hier an plätschert die Scheibe vor sich hin. "The Dammned Don't Cry" ist trotz weiblicher Gesangsunterstützung nichts wirklich Besonderes, in dem bisher nicht veröffentlichten Cover "All Tommorrow Parties" versteckt sich ein guter Beat von Anno 1993. Doch beim Gesang wurde übertrieben. Die viel zu lang gezogenen pseudo-dramatischen Gesangspassagen sind nicht stimmig und langweilen ziemlich schell. Das Gepiepse von "Electricity" ist auch schon länger auf den Tanzflächen bekannt und hinterlässt, genauso wie das rein instrumentelle und an "Barbie Girl" erinnernde "Ohm Sweet Ohm", keinen bleibenden Eindruck. An vorletzter Stelle folgt die wirklich schöne Neuauflage von "Bizzare love Triangle" für die kalten Winterabende.
Was sich Apoptygma beim eigentlich als krönenden Abschluss gemeinten Re-Re-Make von "All Tomorrow Parties" gedacht haben, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben. Auch wenn der Track mit Originalstimme dem Remix unterzogen wurde, grenzen die Synthesizerrhythmen an Blasphemie gegenüber dem Original. Stimme und Beat passen hier überhaupt nicht zueinander. Da ist der Hidden Track keine Zugabe, sondern wohl eher eine Entschuldigung.
"Sonic Diary" ist ordentlich produziert, die Tracks haben alle ihr gewisses Etwas. Aber die Scheibe ist wieder mal eine Zerreißprobe für Apoptygma-Fans. Einerseits sind ein paar der guten alten Tracks dabei, aber die Mainstreamnummern "Cambodia", "Shine On" und ganz besonders "All Tomorrow Parties" sind einfach eine andere Welt. Sie wirken recht billig. Im Großen und Ganzen eine echte Enttäuschung, von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Nach "Sonic Diary" dürfte die Frage geklärt sein, ob "Harmonizer" nur ein Ausrutscher war.
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