laut.de-Kritik

Schräges Puppentheater aus Down Under.

Review von

Was für Michael Jackson die Neverland Ranch ist, muss für Architecture In Helsinki die "Super Melody World" sein. So nennt die achtköpfige Band aus Melbourne zumindest ihr Clubhouse respektive Studio oder besser gesagt ihre kreative Spielwiese. Dort treffen sie sich mit Freunden, egal ob talentiert oder nicht, und nehmen quietschfidele Songs auf.

Das bereits zweite actionreiche Kinderparadies nennt sich "In Case We Die" und bettet sich genauso warm und sympathisch ins Zuckerwattenherz wie die Klangexperimente ihrer Kollegen von Arcade Fire. Ein kunterbuntes Melodien-Sammelsurium, das sich in wilden Lollipopfarben durch verschiedene Genres zappt. Musik im MTV-Schnitt-Format mit jeder Menge wilder Beteiligung.

Dabei läuft so mancher der insgesamt zwölf Songs aus dem Ruder, und man weiß nicht genau, wann ein Stück beginnt und wann es aufhört. Chaos total. Die Architekten, die mit Architektur so überhaupt nix zu tun haben, benutzen als Bausubstanz eine Mischung aus schriller Operette, schrägem Puppentheater und engelsgleicher Opernchor-Symphonie, die man gleich zu Beginn in "Neverevereverdid" zu hören bekommt. Wie aus einem Historien-Film entsprungen, wechselt das glorreiche Intro in eine abwechslungsreiche Klanquelle. Die Architekten trommeln und blasen auf allem Möglichen herum.

Da bleibt einem als Zuhörer nichts anderes übrig, als dem nächstbesten Menschen um den Hals zu fallen. Oder auf dem Spielplatz um die Ecke die Kinder zu erschrecken, weil man jetzt einfach mal die Schaukel benutzen muss. Oder sich einfach so fühlt wie Nadine Hurley, die von Vorhängen besessene Ehefrau aus David Lynchs Twin Peaks, die nach einem Schlag auf den Hinterkopf wieder als Teenager lebt und zum Schrecken aller Beteiligten die High School besucht, um als Cherleaderin die Umwelt zu beglücken.

Derartige Gedanken löst diese australische Sprunghaftigkeit aus. Und seien wir doch mal ehrlich: So richtig erwachsen will doch keiner von uns werden, oder? Die Australier, die noch nie in Helsinki waren, lassen sich kaum in eine Schublade stecken. "In Case We Die" hüpft zwischen Rock- und Punk-Elementen, vielen Synthie-Sounds-Effekten, Bläser-Fanfaren ("Frenchy, I'm Faking") Katzengejammer, Musical-Prunkheftigkeit und instrumentenreichem Kinderquatsch. Zwischendurch schleichen sich wunderbare Popelemente ("Do The Whirlwind") in die gewöhnungsbedürftige Schlammsubstanz, die mit wunderbar impulsivem männlichen und weiblichen Gesang im Wechsel überzeugt. The Go! Team lassen grüßen.

Auf dem Innencover der neuen Platte gibt es eine Tabelle, auf denen die über vierzig verwendeten Instrumente aufgelistet sind sowie eine Übersicht, wann welches in den zwölf Songs zum Einsatz kommt. Man braucht jede Menge Zeit und Geduld, um jedes Gefiepse und jeden Ton der einzelnen Werkzeuge heraus zu hören. Ein schizophrener Wahnsinn, der Spaß macht, hat man sich erst mal an die Melodien der schnellen Schnitte gewöhnt. Und unter uns gesagt: Sind wir nicht alle ein bisschen knalli?

Trackliste

  1. 1. Nevereverdid
  2. 2. It' 5
  3. 3. Tiny Paintings
  4. 4. Wishbone
  5. 5. Maybe You Can Owe Me
  6. 6. Do The Whirlwind
  7. 7. In Case We Die (Parts 1-4)
  8. 8. The Cemetery
  9. 9. Frenchy, I'm Faking
  10. 10. Need To Shout
  11. 11. Rendezvous: Potrero Hill
  12. 12. What's In Store?

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