laut.de-Kritik
Der DJ pfeift auf die Tradition der elektronischen Musik.
Review von Mirco LeierIbiza, der kleine Druffi-Bro vom 17. Bundesland. Sonne Strand und Sangria. 12 Uhr, die Sonne hat das Hotelzimmer mittlerweile schon auf knappe 35 Grad aufgeheizt, und selbst der letzte Alman-Achim wacht aus seinem Delirium auf. Mit Sonnenhut, Atzenbrille und einem lauwarmem Veltins V+ in jeder Hand geht's ab den Strand. Noch kommt keine wirklich Partystimmung auf, dagegen helfen auch die von nebenan kommenden Klänge aus selbstgebastelten Pringles-Verstärkern nichts. Erst um vier Uhr Mittags wird der Kater für besiegt erklärt und die Gute Laune kommt zurück.: "Diggi wo gehen wir hin heute Abend?"; "Brudi lass ins Pascha, da spielt heute Armin van Buuren."; "Kraaaaasss. Kostet wieviel?". "Ganz easy, knappe 70 Kröten". Die Bros ziehen von dannen, während der Nachbar mit der Pringles Dose von seinen Kumpels einen Sonnencreme-Lörres aufgemalt bekommt.
Zurück ins Hotel, den Sonnenhut gegen die Basecap und die Atzenbrille gegen fünf Nasen Pepp getauscht und ab auf die Piste. Vor dem Club wartet bereits die komplette Abschlussklasse des Sankt Heinzelmann Gymnasiums aus Hintergrombelsdorf. "Mal so richtig auf die Kacke hauen" steht ihnen allen ins Gesicht geschrieben. "Geiler Arsch", murmelt ein x-beliebiger Testo-Prollo, keiner reagiert. Drinnen tropft der Schweiß von der Decke und der Geruch von Kotze und Testosteron steht in der Luft. "Geil Mann!" schreit Kevin (23), oberkörperfrei, Single.
Armin Van Buurens Set ist in vollem Gange. Ein Drop jagt den nächsten und die Basslines lassen die Wände beben, aber irgendwie scheint viele das gar nicht zu tangieren. Handys wohin das Auge reicht. Hier und da scheinen die Drogen langsam zu wirken und im hinteren Drittel versucht ein besoffener Metal-Fan einen Mosh-Pit zu starten. Aber wirkliche Rave-Stimmung kommt keine auf.
Van Buurens Musik als objektiv schlecht zu bezeichnen, geht einen Schritt zu weit. Das Publikum, das er bedient, hat in den meisten Fällen eben gar keinen Bock auf ein wirklich musikalisch ausgereiftes Set, wie sie es von einem Ben Klock, einem Jon Hopkins oder einer Amelie Lens hören würden.
Van Buurens Musik ähnelt Michael Bays "Transformers"-Filmen. Sie sind bunt, laut und erfordern nicht viel Hirnschmalz. Das soll nicht heißen, dass jeder der Gefallen daran findet, dumm wäre. Es ist einfach eine weitere Art des Eskapismus wie das tägliche Assi-TV auf RTL.
Mein Problem mit Armin van Buuren, Dimitri Vegas, David Guetta und wie sie alle heißen, liegt nicht nur in der Musik, sondern hauptsächlich in der Kommerzialisierung des Ganzen begründet. Ihre Musik vermittelt automatisch Bilder von Coachella-Jüngern, die knappe 100 Euro für ein Konzert zahlen, aber sich dann zu fein sind, ihre neuen Off-White Sneaker beim Tanzen dreckig zu machen. Blumenketten, hübsche Menschen und gähnende Langeweile.
Elektronische Musik war eben nie dafür gedacht, Festivals wie das Tomorrowland oder überteuerte Clubs auf Ibiza zu bespielen. Elektronische Musik ist ursprünglich dreckig, ist Dreh- und Angelpunkt diverser Subkulturen und birgt eine lange Geschichte, die von der EDM-Generation mit Füßen getreten wird.
Wenn man die Elemente, die an Musik Spaß machen, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert und dann für 70 Euro verkauft, kommt mir die Galle hoch. Es ist so harmlos glattgebügelt und für Jedermann, dass es unverschämt wird. Der Höhepunkt der Unverschämtheit ist dann aber, dieses 70-Euro Set auf ein Doppelalbum zu packen und noch einmal für 20 Euro zu verkaufen. Damit all die Ibizia Partymäuse mit Fernweh in ihrem Fiat Punto noch mal pumpen können. Nur um zu merken, dass es ohne Drogen nur halb so viel Spaß macht. Ist aber auch nur halb so schlimm, das Ticket für den nächsten Ibiza Urlaub ist ja schon gebucht.
3 Kommentare
Eine großartige Rezension - Chapeau!
Die Wertung ist verdient.
Wie recht du doch hast... leider...
Der beste Artikel, den ich je gelesen habe.