laut.de-Kritik
Zu viel Drama für gutes Handwerk.
Review von Jan HassenpflugEine As I Lay Dying-Platte besprechen, ohne dabei weit auszuholen? Schwierig. Um im Bild von "Through Storms Ahead" zu bleiben, hätten die Amerikaner die Ruhe nach dem Sturm nur allzu gut gebrauchen können. Nachdem das umstrittene Comeback samt aller Hintergrundgeräusche letztlich doch großzügig von der Metal-Gemeinde durchgewunken wurde, braute sich prompt das nächste Unwetter zusammen. Es begann bereits mit dem Ausstieg von Bassist und Sänger Josh Gilbert. Mit ihm ging 2022 die musikalisch prägendste Figur von Bord und ließ die Kollegen mit der Frage zurück: Wie geht es weiter?
Bestens erprobt in Sachen Resilienz findet die Band selbst aus dieser schier aussichtslosen Situation einen überraschend guten Ausweg. Der trägt den Namen Ryan Neff. In der Metalcore-Blase gibt es wohl kaum eine Stimme, die der von Gilbert in Höhe und Glanz mehr ähnelt. Das passt doppelt, denn Bass spielen kann das langjährige Miss May I-Mitglied auch noch. So weit so gut? Nicht ganz.
Just als wir uns endgültig dem Output der neu aufgesetzten Kombi zuwenden wollen, löst diese sich nämlich komplett in Luft auf. Die folgende Review widmet sich also einer Geister-Band, die noch vor Veröffentlichung der Platte ihrer eigenen Fragilität zum Opfer fällt. In einem Wirrwarr aus negativen Schlagzeilen lässt sich zumindest erahnen, dass es zwischenmenschlich nie so recht passte.
Dabei knüpft "Through Storms Ahead" musikalisch ziemlich geschmeidig an die bisherige Erfolgsgeschichte an. Selbstbewusst richtet sich "A Broken Reflection" auf, um den wirbelnden Winden zu trotzen: "Face to face with what I fear, reflection from a twisted mirror. Where every flaw is brought to light and all that shines is left behind". Der Grundton ist gesetzt, die alles erduldende Haltung eingenommen. Damit ja niemand auf die Idee kommt, man habe an Standhaftigkeit eingebüßt, grunzt Lambesis stur durch die dunklen Widrigkeiten des Lebens: "Engrained with permanence. Like a statue standing tall."
Der Einstieg wuchtete sich sofort ins Ohr und schickt "Burden" mit einem ähnlichen Narrativ hinterher. Neffs Gesang muss sich, umringt von Blastbeats und quiekenden Gitarren, aus der pechschwarzen Aussichtslosigkeit freischwimmen: "I've carried the weight of your burden long enough". Als sei es längst tief in der DNA jedes einzelnen Neumitglieds verankert, flutscht der typische Breakdown wie selbstverständlich mit und komplettiert einen Song, der den bandeigenen Standard perfekt beschreibt. Leicht auszurechnen zwar, aber die handwerkliche Umsetzung sitzt einfach.
Skeptische Fans dürfen sich entspannt zurücklehnen. Hier bleibt fürs Ohr vieles beim Alten. In persona Lambesis vs. Neff erwecken As I Lay Dying das zwiegespaltene Spiel aus brutaler Härte und feiner Melodie unaufgeregt zum Leben. "The Void Within", "Whitewashed Tomb" oder der Titeltrack liefern Metalcore in Reinform. Selten geht es darüber hinaus.
Stattdessen drohen die immer gleichen Strukturen, ins Belanglose zu kippen. Noch einen Schritt weiter geht "We Are The Dead" und feiert die überproduzierte Zombie-Apokalypse unter dem Motto 'Stumpf ist Trumpf'. Das Bild von Chaos und Zerstörungswut manifestiert sich angesichts der rasanten Schlagzahl automatisch. Hauptsache aggressiv und schnell.
Interessante Ansätze wie etwa der melodische Einstieg in "Taken From Nothing" werden zu schnell von diabolischen Shouts erstickt. Lambesis Vocals verkommen mit jedem Mal mehr zum Hintergrundrauschen, das sich bloß noch über ein besonders griffiges Songwriting aufbrechen lässt. "The Cave We Fear To Enter" hebt auf den letzten Metern sämtliches Hit-Potenzial und bündelt die bewährten Zutaten für den vielleicht besten Auszug eines flüchtigen Kapitels Bandgeschichte.
Kurz lädt sich der Spannungsbogen auf, melancholische Gitarren übernehmen die Einführung, bis die Bestie zum Angriff bläst. Dabei geraten die mantraartigen Gesangspassagen nie außer Hörweite: "All I see and all I know is pain.". Natürlich bleiben Durchhalteparolen weiterhin das Mittel der Wahl. Anders als der biedere Durchschnitt sorgt der Song jedoch über klug gesetzte Tempowechsel oder schmissige Gitarrenleads dafür, dass Dynamik entsteht und der hymnenhafte Refrain zum Befreiungsschlag ansetzen kann.
Was fangen wir nun an mit dieser Phantom-Platte? Verlassen wie das Männlein im Walde steht Lambesis ganz alleine vor einem Scherbenhaufen. Entweder markiert dieses Album im Rückblick das letzte Lebenszeichen einer Vision von As I Lay Dying, die er mit aller Kraft aufrechterhalten wollte, oder aber eine schnell vergessene Zwischenstation auf dem Weg zur nächsten Auferstehung. Feststeht: Eine handwerklich starke, in Gänze aber zu eindimensionale Idee von Metalcore, reicht wohl nicht aus, um das niemals enden wollende Drama rund um die Band zu übertönen. Insofern spricht vieles für eine auserzählte Geschichte. Den Moment fürs Happy End hat man ohnehin längst verpasst.
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