laut.de-Kritik
Der introvertierte, noch schrulligere Bruder von "SIGN".
Review von Maximilian FritzNach "SIGN" nun "PLUS", beides, dem Anlass angemessen, in Versalien gehalten. Autechre-Alben erscheinen nicht einfach so, sie sind Ereignisse. Das liegt zuvorderst an der Musik, die in all den Jahren nichts von ihrer Eigenwilligkeit eingebüßt, davon sogar eher noch hinzugewonnen hat.
In beinahe überraschend konventionellem Format drangen beide Alben in kurzem zeitlichen Abstand ans Tageslicht; die Cover ähneln sich stark, der Umfang bleibt mit jeweils etwa einer Stunde im Rahmen und der Klang, nun ja, fällt für die Maßstäbe des britischen Duos versöhnlich aus.
"PLUS" ist so etwas wie der introvertierte, noch schrulligere Bruder von "SIGN", das Schönheit immerhin noch als lose standardisierte ästhetische Kategorie begriff. Wohltönende Noten, klar als solche ausgeformte Melodien sucht man hier mit der Lupe. Im Fokus steht eher maschinelles Dröhnen, flüchtige Sequenzierung, an- und abschwellendes Rauschen wie auf "marhide".
"ecol4" lädt zum 13-minütigen, unheilvoll schief klingenden Trip mit stellenweise monströsen Basswölbungen. Alles an dieser Musik ist so dermaßen metallisch-glatt konsequent durchcomputerisiert, dass sich die beiden IDM-Pioniere Anfang der Neunziger vielleicht sogar daran gestoßen hätten. "Incunabula" oder "Amber" weisen im Vergleich schließlich ein geradezu grobkörniges Wesen auf.
Womöglich hatten Rob Brown und Sean Booth in vergangenen Dekaden aber schlicht nicht die technischen Hilfsmittel, um ihre formvollendete Vision von Musik umzusetzen. Beide gehen inzwischen bekanntermaßen eine friedliche Co-Autorenschaft mit Patches, Programmen und Codes ein. Das führt zu mehr Zufall, aber auch zu mehr Plastizität, die sich phasenweise förmlich aus den Lautsprechermembranen herauszuschälen scheint.
"PLUS" ist – genau wie "SIGN" – ein Album, das über Lautsprecher deutlich besser funktioniert als über Kopfhörer. Unabdingbar ist die volle Konzentration, Easy Listening wird hier schwierig. "PLUS" entlohnt dafür reichlich. Etwa mit den wunderschönen Soundschlieren, die sich in "lux 106 mod" ineinander weben und bei Sofaastronaut*innen generationenübergreifend Erinnerungen an die BR Spacenight wecken dürften.
Ebenso mit dem Epos "X4", das so ziemlich alle Qualitäten Autechres auf Langstrecke bündelt. Granulares, feingliedriges Klopfen in den Beats, dessen Hyperaktivität gleich mehrere fragile Melodiespuren besänftigen. "ii.pre esc" zieht mit seinem epischen Surren, dumpfen Grollen und vergänglichen Basskaskaden die stärksten Parallelen zu "SIGN". Wobei sich die Trennschärfe verringert, je tiefer man in "PLUS" eintaucht.
Das Möbiusband bleibt auch beim zweiten Album Autechres in diesem Jahr ein clever gewähltes Motiv. Nicht nur illustriert es in seiner kinetischen Sterilität das Klangkostüm beider LPs hervorragend, sondern eignet sich hervorragend als konzeptionelles Sinnbild. Beide Alben greifen in beeindruckender Manier ineinander, bilden für sich eine hermetische Einheit, die nur dem Schwesteralbum Einlass gewährt. Und wenn "PLUS" tatsächlich mal ausrotiert hat, kann man ja immer noch "SIGN" auflegen.
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