laut.de-Kritik

Die sechste Schicht Pathos.

Review von

Frisch wie aus dem Ei gepellt sieht er nach wie vor aus, der Axel Rudi. Und wer mit dem Namen Rockstar werden kann, der muss halt was richtig machen. ARM kann besonders eines gut: die große Geste. Demzufolge ist es nur folgerichtig, dass mit "The Ballads VI" die mittlerweile sechste Kompilation von Schmachtesongs des Bochumers erscheint.

Die Band um den Gitarristen herum hat sich seit gut 20 Jahren kaum geändert, man weiß also, was zu erwarten ist. Gioeli singt jeden einzelnen Atemzug, als wäre es sein letzter und als würde er in einem High-Fantasy-Setting wahlweise eine Orkarmee gegen die Zinnen von Akko hetzen oder seine lange verschollene Liebste betrauern – darunter macht er es nicht. Damit fügt er sich aber organisch in das Bandgefüge ein, das zusammengehalten wird vom Pathos und der Ehrfurcht vor den eigenen heftigen Gefühlen.

Das sind für ein Balladenalbum gar nicht die schlechtesten Eigenschaften, wobei Balladen wie jede Kunstform von der Fallhöhe leben: So richtig knutschig wird es vor allem dann, wenn eine Band eine hintergründige Gefahr, eine nie kommende Katharsis oder irgendeinen anders gearteten (angedeuteten) Kontrast beschwören kann, was erstens die Dringlichkeit der eigenen Emotionen unterstreicht und weniger lächerlich wirken lässt, und vor der zweitens die positiven Gefühle der Ballade um so stärker hervortreten.

Nach dem soliden, neuen Instrumental-Opener "Revelations" beginnt ARP den Reigen mit einem Cover: "Diamonds And Rust" von Joan Baez, ein unumstrittener Klassiker, der im Original auch von seinen Andeutungen und der phasenweisen Lethargie einer überraschten, nostalgischen, traurigen Baez lebt. Diese Nuancen gehen verloren, dafür kommt eine druckvolle Hard Rock-Ballade raus, die es ganz ganz safe spielt und Gioeli in guter Form zeigt.

Sogar an "Dust In The Wind" traut sich das Pottkind ran, gleich der übernächste Song in dieser insofern verwirrend arrangierten Zusammenstellung. Natürlich muss man sich an dem Ding verheben, man kann es aber deutlich schlechter machen als ein wiederum glänzender Gioeli und Pell an der Gitarre, der in den beiden Coverversionen zwar nicht auf den Soloauftritt verzichten mag, ihn aber erstens in songdienlichen Grenzen hält und zweitens vor allem beim Kansas-Song eine blitzsaubere Nummer abzieht.

"Morning Star" ist der einzige neue Song auf "The Ballads VI" mit Vocals, neben dem Opener ist nur der fünfte, gelungene, wenngleich zu lange Track "Hidden Secrets" ebenfalls neu. Der Morgenstern erweist sich als Funzel, Keyboard-Streicher und ein fader Refrain sind eine zu große Hypothek. Pell gniedelt schon früh im Song, was fast wie Verzweiflung wirkt. Nun sind wir bei "Gone In The Wind", und kommen in dieser Balladencompilation zum ersten kompilierten Song. Wie alle folgenden Titel rekrutiert sich dieser aus den letzten vier Studioalben, von "Knights Call" (sic!) bis "Lost XIII".

Pell hängt die Messlatte mit seiner Aussage: "Rückblickend gibt es in den fast 35 Jahren meiner Solokarriere keine einzige Ballade, für die ich mich schämen müsste ..." auf fast schon charmante Art und Weise niedrig, für "Gone In The Wind" muss er sich jedenfalls nicht schämen, das ist eine Hard Rock-Ballade, wie sie im Buche steht. Und anders als alle bisherigen Songs hat sie für ihre knapp neun Minuten problemlos genug Ideen und strahlt eben die Härte an den richtigen Stellen und einen generellen Wumms aus, die dem Sänger erst ermöglichen, authentisch zu schmettern. Eine ganz feine Angelegenheit. Mit "She's A Lady" folgt schon wieder ein Cover, das aber schon auf "Diamonds Unlocked II" zu hören und auch dort eine peinliche, durchsichtige Angelegenheit war.

"Room With A View" versöhnt mit einem erdigen, an Tom Petty erinnernden Beginn und feinen Chören wieder, wirklich mitreißend fällt es aber auch nicht aus. Damit ist es aber wie das zumindest frei fließende "As Blind As A Fool Can Be" allemal besser als das ziellose, effekthaschende "Fly With Me", das One-Trick-Pony "I Put A Spell On You", der schunkelnde Schmuserock von "Beyond The Light" oder die Gitarrendemo "Quarantine 1" – alle diese Songs eint, dass sie maximal eine gute Idee haben, die bei weitem nicht über ihre gesamte Spielzeit ausreicht, und dass sie allzu homogen dahinplätschern und die anfangs erwähnte Fallhöhe nicht aufbauen, sondern von Sekunde eins bis zum Schluss eindimensional bleiben; und dann ist eine Ballade halt auch nur ein langsames Lied. Ein Best-Of von "The Ballads" bis zu diesem sechsten Teil wäre ein richtig gutes Album – dieses ist es nicht.

Trackliste

  1. 1. Revelations
  2. 2. Diamonds And Rust
  3. 3. Morning Star
  4. 4. Dust In The Wind
  5. 5. Hidden Secrets
  6. 6. Gone With The Wind
  7. 7. She's A Lady
  8. 8. Room With A View
  9. 9. Fly With Me
  10. 10. As Blind As A Fool Can be
  11. 11. I Put A Spell On You
  12. 12. Beyond the light
  13. 13. Quarantined 1

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