laut.de-Kritik
So hat sich R'n'B seit "Kiss Land" nicht mehr angefühlt.
Review von Dani Fromm"Why do we love the wrong ones? Trust the wrong ones? Fuck the wrong ones?" BERWYN ist wahrhaftig nicht der erste, der sich und der Welt diese Fragen stellt. Obwohl es einen Track namens "Answers" birgt, findet er die Antworten auch auf seinem zweiten Tape nicht, dafür aber herzerreißende Neuinterpretationen dessen, das im weitesten Sinne wohl unter R'n'B fällt. So up to date, neu, beseelt und frisch hat sich das Genre allerdings seit "Channel Orange" und "Kiss Land" nicht mehr angefühlt.
Wobei man sich trefflich darüber streiten könnte, ob es sich hierbei überhaupt um R'n'B handelt: An vielen Stellen ist "Tape 2 / Fomalhaut" so Hip Hop, wie es nur geht. BERWYN singt zwar, aber nicht nur. Seine Vocals changieren zwischen Gesang und Rap. Oft genug, etwa im Opener "Wrong Ones", wirken sie wie eine fiebrige Spoken Word-Performance, voller Dringlichkeit und Ausdruck, es bräuchte die musikalische Begleitung gar nicht.
BERWYN beackert die klassischsten denkbaren Themenfelder. Er erzählt von Armut, Ausgrenzung, Fremdheitsgefühl und diffuser Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat, die ihm über die Jahre ebenfalls fremd geworden ist. Er thematisiert Obdachlosigkeit, den Kampf ums nackte Überleben, Einsamkeit, enttäuschte Hoffnungen und Erwartungen, aber auch den Aufstieg in ungeahnte Höhen und die trotzdem noch immer ungestillte Sehnsucht nach Zugehörigkeit und innerem Frieden.
Was sich liest wie schon tausendmal gehört, klingt bei BERWYN nach der absolut unikaten Geschichte, die es ist - nämlich seine eigene. Kindheit und Jugend des Einwandererkinds aus Trinidad überschattete sein unsicherer Aufenthaltsstaus in Großbritannien. Ohne Papiere fehlten ihm die Perspektiven abseits des "family business", das schon seine Mutter zwischenzeitlich hinter Gitter gebracht hat. Es blieben die Flucht in den Rausch und hoch fliegende Träume.
Auch, wenn sich letztere zum Teil erfüllt haben: BERWYN kennt die Zwischenwelt noch genau, in der er sich gefangen fühlte, unsichtbar, zwischen allen Stühlen. "I'd Rather Die Than Be Deported" wirkt aus seinem Mund entsprechend nicht wie eine pathetische Übertreibung, sondern wie das Resultat nüchterner Abwägung.
Schonungslos seziert und reflektiert BERWYN seine Situation und die seines Umfelds. Auf "Full Moon Freestyle" verrät er, was aus den Homies geworden ist, die er auf seinem Debüt "Demotape / Vega" bereits vorgestellt hatte. Die Spannweite seiner persönlichen Story sprengt beinahe die Vorstellungskraft, auch BERWYNs eigene: "I was sleeping on a mattress talking big dreams. Now the world is in my palms."
Von Nächten, die er im Auto schlafen musste ("100,000,000"), über Durchhalteparolen an sich selbst ("Teddy's Joint") hat BERWYN einen weiten Weg zurückgelegt, ehe er in "Answers", immer noch leise ungläubig, feststellt: "Mama made a boy, now this boy is a star." Er erzählt von Fallen, vom Aufprall ganz unten, aber eben auch vom Gefühl, sich zu fangen und zum Höhenflug aufzuschwingen.
Hin und wieder, wie in "Snakes On My Nokia", flankieren himmlische Chöre und Saitenflirren die Vocals. Meist begleitet sich BERWYN aber mit dunklen Pianoarrangements, die in ihrer reduzierten Schlichtheit enorme Wirkung entfalten. "I want 'em to spraypaint my Grammy in black." Lackiert oder nicht: Verdient hätte er einen.
Auch für seinen zweiten Streich wählte BERWYN den Namen eines Sterns. Das passt in doppelter Hinsicht: Zum einen spiegelt es den strahlenden Glanz dieses aufstrebenden ... nun, ja ... Stars. Zum anderen steckt aber auch die Einsamkeit in der eisigen Kälte des Weltalls in diesem Bild. Die ist BERWYN bisher nicht losgeworden. Noch nicht.
1 Kommentar
Danke Dani für diese hochempathische Review.
"I'd rather die than be deported" wirkt aus seinem Mund nicht wie eine pathetische Übertreibung, sondern wie das Resultat nüchterner Abwägung"
Wow. Das berührt mich sehr, weil es so wahr ist und doch so selten von außen so wahrgenommen wird.
Werde definitiv reinhören.