laut.de-Kritik
Erwachsene Mainstream-Traurigkeit.
Review von Jasmin LützDa sind sie also wieder, die erfolgsverwöhnten Quietschboys. Nach längerer (Zwangs)pause bringen Nick, AJ, Brian, Kevin und Howie mit "Never Gone" ihr fünftes Studioalbum auf den Markt. Da trieft es natürlich wieder aus allen Poren. Allein die Single "Incomplete" drückt mit einleitendem Piano und anbetungswürdigen Streicherarrangements mächtig auf die überfüllte Tränendrüse. Nach dem bombastischen Höhepunkt fällt die komplette Opener-Euphorie jedoch schnell in sich zusammen.
Sicher ist, dass diese Erstauskopplung die professionelle Pop-Maschinerie garantiert zum Laufen bringt und die Mädchenherzen höher schlagen bzw. mittlerweile wohl auch den Herzschrittmacher vibrieren lässt. Denn nicht nur die Musikkapelle ist älter geworden, auch ihre Fans sind mit ihnen gewachsen. Zwischen Zahnspangen-Nichten und einigen Neffen tummeln sich nun auch Tanten und Kukident-3-Phasen-Omis in den vordersten Reihen, was man zuletzt am 31. Mai auf ihrem Special-Showcase im Kölner E-Werk beobachten durfte. Ihre Tanzparts beherrschen die Boys jedoch auch mit reiferen Knochen, und der mehrstimmige Gesang sitzt perfekt zum choreographischen Disko-Rhythmus ihrer damaligen Top-Ten-Hits "I Want It That Way" und "Quit Playing Games With My Heart".
Allerdings wird der geschulte Popowackler auf "Never Gone" Fetenhits wie "Everybody (Backstreets Back)" aus dem Jahre 1997 vermissen. "Just Want You To Know" bietet eine kurze Synthie-Rock-Explosion, bei der sich alle mal so richtig ins Zeug legen, bevor "Crawling Back To You" mit erneuter Orchestererschlagung den guten alten Rock völlig in den Sand setzt. Die Hände zum Gebet streckt "Weird World" gen Himmel. Weitere zackige Beats im Rumba-Wechselschritt wie bei "Poster Girl" oder "My Beautiful Woman" lassen uns die vokale Potenzsteigerung mehr als vorausahnen. Na, und da denken wir stimmlich aber mal ganz fest an Michael, yeah, yeah, yeah!
Ansonsten kommt der Balladen-Liebhaber voll auf seine Kosten. Neben dem Opener erwarten ihn weitere Schmacht-Orgien mit wilden Höhepunkten, indem Nick seine Stimmbänder bis aufs Äußerste reizt und die Streicher spätestens jetzt neue Saiten brauchen. Die einleitende Textzeile "Oh No" von "Lose It All" bezeichnet den gesamten Schlamassel eindeutig und treffsicher. "Safest Place To Hide" kennt leider auch keine Schmalzgrenze - derartige Midtempo-Nummern sprengen die After-Work Party mit Sicherheit und lassen sämtlichen Klischees freien Lauf.
Das wäre aber nun wirklich nicht mehr nötig gewesen: BSB schenken uns noch zwei sexy Bonustracks zum guten Schluss. "Song For The Unloved" und "Rush Over Me", bei dem sich alle fünf persönlich die Songrechte an den Hut stecken dürfen. Ansonsten sind hochkarätige Experten, wie Billy Mann (Pink, Sting), Darren Hayes (Savage Garden) und Grammy-Preisträger John Shanks an der gesamten Mainstream-Traurigkeit beteiligt. Backstreets Back, und ihr treues Publikum dankt es ihnen (in Köln) erneut mit BHs und jeder Menge Kuscheltiere.
Dabei wollen die Boys doch erwachsener geworden sein und sich aus der naiven Teenie-Pop-Schublade verabschieden. Ihre Einzelschicksale entnimmt man nicht nur den feierlichen Danksagungen im Booklet, sondern hört man auch in ihren vierzehn Überproduktionen mit der vollen Soul und Funk-Ladung, in dem sie einem clean und bemüht ihre Erlebnisberichte vorträllern.
Nach eher weniger erfolgreichen Soloprojekten wie "Now Or Never" stürmt "Never Gone" gewiss trotzdem erneut die Hitparaden. Mal sehen, ob sie die 73 Millionen-Verkaufsmarke noch einmal toppen können. Die iPods der New-Shuffle-Generation werden auf jeden Fall glühen, und Muttis nächste Kaffeefahrt ist gerettet. Willkommen im Backstreet Boys Familien-Freizeit-Amüsement.
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