laut.de-Kritik
Endlich komplett zu hören: Die beste Band der Achtziger-BRD!
Review von Kerstin KratochwillBRD, 1981: Bevor die Neue Deutsche Welle Deutschland überrollt, veröffentlicht eine Band mit dem (scheinbar) albernen Namen Bärchen Und Die Milchbubis ihr Debüt-Album "Und dann macht es Bumm", das mit all seinen Begrifflichkeiten dermaßen in die Irre führt. Was hier zu hören ist, ist nämlich nichts weniger als eine Sensation – schnoddriger Punk mit schönen Popmelodien, geschärfte Lyrics zwischen Dada und Kritik und eine Atmosphäre zwischen Hoffnungslosigkeit und Aufbruchsstimmung gespickt mit viel Spaß und Selbstzerstörungsattitüde.
Die hannoveranische Band, die sich schon mit ihrem Namen vom damaligen Machotum der Punkszene ironisch selbstbewusst absetzt (Sängerin Annette - "Bärchen" - und ihre Bandgenossen - "die Milchbubis"), setzt auch musikalisch neue Akzente, die nun endlich in einer großen Werkschau mit dem genialen Namen "Endlich Komplett Betrunken" gewürdigt werden. Denn so kurz und knackig wie die Songs, war leider auch die Lebensdauer der Band.
Eine Single, eine EP und ein Album wurden damals alle gefeiert und gelobt, sind aber heute – 40 Jahre später – fast vergessen. Doch diese Compilation hebt die Schätze (wie ihren kleinen Hit "Tiefseefisch") aus den Tiefen der deutschen Undergroundszene der frühen Achtziger und versammelt alle Songs der legendären EP und der LP, neu gemastert von den Originalbändern sowie einige herrlich kaputte Live-Aufnahmen. Außerdem gibt es neu eingespielte Bonusstücke wie eine Coverversion von DNS ("39 Clocks") und den Mix aus ihrem Song "Tagebuch" mit dem Punk-Klassiker "Samen im Darm" – ihr Stinkefinger gegen Schwulenhass. Auch andere Songs mit feministischen, wütenden, anarchischen und humorvollen Texten sind so wenig vorhersehbar, dass sie direkt ins Jahr 2021 katapultiert genauso klingen wie die Musik, die man jetzt dringend braucht.
Die trotzig rotzige Hymne "Jung kaputt spart Altersheime" ist "No Future" und "Verschwende Deine Jugend" prägnant zusammengefasst. "Muskeln" mit den genervten Zeilen "Wenn mich schon keine mag, warum soll ich euch mögen?" erinnert an die lakonische stets gelangweilt klingende Silvia (hey Labels: die ebenfalls unbedingt ein Reissue ihres einzigen selbstbenannten Albums aus dem Jahr 1982 bekommen sollte).
"Ich will nicht älter werden" ist analog zur Tom-Waits-Coverversion der Ramones "I Don't Wanna Grow Up" eine eindringliche Ode ans Jungsein. Und "Manager" ist ein Fuck You gegen so etwas wie die FDP mit Worten, die heute noch so aktuell sind wie eh und je: "Die Angst um meine Zukunft bringt mich völlig zum Rotieren. Was tu ich, was mach ich, wie verdien’ ich mein Geld. Der Tag ist so schwarz, mich hält nichts auf dieser Welt".
Doch wenn einen irgendetwas auf dieser düsteren Welt hält, dann ist es solche Musik, die nun von vielen wiederentdeckt werden wird und andere daran erinnert, wie frisch und frech Sounds abseits der Schubladen klingen können. Bärchen und die Milchbubis haben jedenfalls ihren Spaß gemäß dem Motto 'No Fun Im Altersheim' zurück. Und sie planen wieder Live-Auftritte: "Los Leute, darauf trinken wir noch einen!"
11 Kommentare mit 33 Antworten
Bärchen ♥
Ich will ein Glücksbärchi sein ♥
Oder auch Winnie Poo.
Oder Balu. (WB)
Ja. Aber nur wenn Balu Poo macht.
Sämtliche deutsche Mucke aus der Zeit und der stilistischen Ecke klingt einfach nur wie schlechte Kopien dessen was englische/amerikanische Bands tausendmal besser können.
Jupp. Aber gilt das nicht generell?
@Chris
Als Deutschrap im Pott NY Style Beats und die Leute im Bunker Alternative West Coast Styles kopiert haben, war das vermutlich die beste und aufregendste Zeit im Deutschrap.
Ich persönlich mag Krautrock auch ganz gerne, weil ich da durch meinen Vater mit vorgeprägt bin. Dass das aber mehr als nur etwas abgekupfert ist stimmt jedoch.
@Xc
Das was allgemein Krautrock nennt war damals null abgekupfert. Die Künstler wollten sich ja bewusst von den angloamerikanischen Musiktraditionen abgrenzen. Sicherlich gab es damals auch viele deutsche Bands die eher kopiert haben, aber die haben dann heute nicht diesen Klassikerstatus wie z.B. Can oder Neu!
@Soundscan
Ich kenne mich mit der Geschichte des Genres nicht allzu gut aus und weiß deswegen nicht so ganz, was man da als authentisch bewertet. Eine der Lieblingsbands meines Papas die ich in lustiger Erinnerung habe, war Sahara, die klingen für mich schon so ein bisschen wie 70er Progrock mit hartem denglisch-Einschlag
Ist zwar alles ziemlich vor meiner Zeit, aber mein geschätzter, betagterer Musikerkollege zeigt mir öfter mal ziemlich abgefahrene deutsche Untergrundmusik aus den 80ern. Was sozusagen Anti-Deutsche-Welle war.
Ja, ist freilich alles lauchig, aber oft charmant und jedenfalls eigenständig. Richtig schamloses, schlechtes Nachgeäffe ging, soweit ich weiß, erst mit den 90ern los.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Silvia wurde schon 2x neu aufgelegt, 2003 auf Genetic Music und 2017 auf Dark Entries.
Für mich waren damals (also neulich mit 17) Hans-A-Plast relevanter und da gab es ja auch noch Rotzkotz, The Wirtschaftswunder, Fred Banana Combo und und und. Aber so geballt auf einem Album machen Bärchen und die Milchbubis dann doch wieder viel Spaß und schwupps, ist das "das war doch eben erst" Gefühl wieder da. "Ich will nicht älter werden" hat dann doch nicht wirklich geklappt! Aber das ist gut so!
Ein paar tolle Songs drauf (Titel nachzulesen beim gueldenen huerensoehn), in den besten Momenten wirklich ausgesprochen charmant. In manch anderen für meinen Geschmack aber doch zu sehr low-fi und -effort in Text und Gesang. Mindestens für den 5. Stern muss die Nostalgie-Brille schon gut sitzen, schätze/unterstelle ich.
Trotzdem danke für diese hübsche Spätentdeckung, enttäuscht bin ich auf keinen Fall
Super Kinderzimmerpunk. Liebe es. Ne bessere Selektion hätte dem Ganzen gut getan. An die Laut.de Haterbande: Bela und Farin sind Fans! Die haben sich sogar von denen Inspirieren lassen. Scheisse, jetzt müsst ihr die Bärchies gut finden. haha