laut.de-Kritik
Zwischen Weezer, Avril Lavigne und Paramore: Wer vermisst die 90er?
Review von Simon ConradsBeatrice Laus hat schon wie ein Rockstar gelebt, bevor überhaupt abzusehen war, dass sie einer werden wird. So schildert sie es zumindest dem Musikmagazin Dazed. Als Außenseiterin auf einem renommierten katholischen Mädchengymnasium fand sie Anklang in einem Freundeskreis, der viel Gras rauchte und gerne mit anderen Drogen experimentierte. Was schließlich dazu beitrug, dass sie nach der zwölften Klasse der Schule verwiesen wurde. Mit 17, ohne richtige Zukunftsperspektive und mit viel Ballast auf der Seele, wandte sie sich der Gitarre zu.
Das Ergebnis war schon kurze Zeit später ein sich abzeichnender Erfolg des Debütsongs "Coffee", einer bezaubernd naiven Lo-Fi-Ballade. Inzwischen verzeichnet der Track über 50 Millionen Streams bei Spotify, das Label Dirty Hit biss an und veröffentlichte Laus vier EPs. Die Labelkumpels von The 1975 nahmen sie zudem mit auf Tour, und so konnte die mittlerweile 20-Jährige bereits ohne ein komplettes Album große Arenen bespielen. Über einen Schulabschluss muss sie sich inzwischen also keine Gedanken mehr machen. Mit "Fake It Flowers", ihrem Debüt-Langspieler, versucht Laus nun erfolgreich, dem Hype gerecht zu werden.
Seit "Coffee" hat sich einiges im Sound gewandelt, inzwischen ist sie zur Heilsbringerin aller Nostalgiker geworden, die sich die 90er und frühen 2000er zurückwünschen, und wird damit auch dem Begriff Rockstar besser gerecht. Die Songs rangieren klanglich zwischen Weezer, Avril Lavigne, Paramore, ein bisschen Showgaze und einem Happen verpopptem Grunge, durch den irgendwo noch ein Hauch Nirvana weht. In anderen Songs, etwa "Sorry", klingt der melancholische Einfluss ihres Idols Elliott Smiths durch. Auch wenn sich das Stück gegen Ende in fett produzierten Rock öffnet. Noch mehr wird Smith in dem akustischen Lo-Fi-Stück "How Was Your Day?" evoziert.
Selbstverständlich ist Laus nicht die erste, die diesen Fundus für modernen Indierock entstaubt. Die letzten Jahre haben etwa Snail Mail, die britische Band Doe und Soccer Mommy starke Alben veröffentlicht, die ganz ähnliche Knöpfe drücken. Beabadoobee klingt aber dennoch frisch. Schon der Opener "Care" trägt einen knapp 20 Jahre in die Vergangenheit und bietet den eingängigsten Refrain der Platte.
Produziert hat das Album Pete Robertson von The Vaccines gemeinsam mit Joseph Rogers - und beide unterfüttern Laus' starkes Songwriting mit einem entsprechend fetten Sound, der den Stücken die nötigen Kante verleiht: Über den vollen Gitarrenklängen und dem knalligen Schlagzeug schwebt Beabadoobee mit sanfter Stimme. Besonders gut gelingt auch die Laut-Leise-Dynamik, etwa in "Charlie Brown", das im Refrain zum kratzigsten Stück der Platte wird. Das Stück verhandelt Selbstzweifel und Depression, was der Hook eine eigene Prägnanz verleiht: "Throw it away", kreischt Laus.
Das Außenseitertum, Erfahrungen mit Selbstverletzung und schließlich auch die Selbstfindung in einer Beziehung schlagen sich in erstaunlich reifen Texten nieder, bei denen sie teilweise Unterstützung von Matt Healy von The 1975 bekommt. Düster wird es auch im melancholischen und passend betitelten "Emo Song", in dem Laus singt: "Back on old ways, I know your face / I haven't seen you in some days / It hurts my head, my conscience dead / The fact I miss the way it felt". Optimistischer klingt sie dagegen im verträumten und von Streichern untermalten "Horen Sarrison", das sie ihrem Partner widmet: "You are the song that I need for my mental state / You are the bus that stayed when I thought I was late / So I'm convinced you're from outer space".
Was anderswo schnell kitschig oder aufdringlich wirken könnte, verpackt Beabadoobee sehr ansprechend. Mit ihrer vermeintlich aufrichtigen und offenherzigen Art verleiht sie den Stücken einen wunderbaren Charme. So steht insgesamt ein klanglich wahnsinnig erfrischendes Album, dem ein Update des 90s-Sound gelingt. Beabadoobee ist dazu gewitzt genug, ihre Texte nie übermäßig deprimierend geraten zu lassen.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Also DIESE 90er vermisse ich null. Es kopiert den 90er-Girlie-Gitarrenpop dermaßen, daß es quasi keine Daseinsberechtigung hat. Es macht null Unterschied, ob man diese Scheibe oder die Corrs, Alanis und Cranberries auflegt, allerdings ohne das gute Songwriting.
treffend auf den punkt gebracht!!!
Also DIESE 90er vermisse ich null. Es kopiert den 90er-Ragesquen-Kommentarflop dermaßen, daß es quasi keine Daseinsberechtigung hat. Es macht null Unterschied, ob man diesen Kommentar oder der Schwinger, Ataxia78 und MannIN liest.
wieder so ein revival
Außer den durchgenudelten Singles Worth It & Care ist die Platte echt sehr schön. Irgendwas hat das einfach!
Ich finde die Gruppe 'Basement' klingt da deutlich mehr nach 90er und obendrein besser*. Ziemlich schade das die hier noch nie rezensiert wurde, oder gibt's einen Grund warum Gruppen von Bandcamp hier sehr selten zu finden sind?
*Kann das Album 'Promise Everything' als Hörprobe empfehlen.
"...oder gibt's einen Grund warum Gruppen von Bandcamp hier sehr selten zu finden sind?"
Die schicken wahrscheinlich keine Rezensionsexemplare.