laut.de-Kritik

Ein Meilenstein in der Karriere der 60s Pop-Connaiseure.

Review von

Gute Bands, so hört man es immer wieder, erkennt man an der Qualität ihrer B-Seiten. Sagen wir mal so: Wo B-Seiten komponiert werden, die tatsächlich als A-Seite das Licht der Welt hätten erblicken können, schmiedet überbordende Kreativität eine enge Bande mit Genialität. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieses Talent nicht wie Manna vom Himmel fällt, außer man heißt Nick Cave oder man spielt bei The Cure, Maximo Park und Belle And Sebastian.

Vor lauter toller A- und B-Seiten darf man als Künstler natürlich tunlichst nicht die wichtigen Langspielplatten außer Acht lassen, und selbst diesen Umstand berücksichtigen Belle And Sebastian regelmäßig und mit äußerster Präzision. Und dennoch: Um all diese wohl bekannten Pfunde wissend, mit denen die Band seit Jahren scheinbar willenlos wuchert, verwundert doch die unmittelbare Präsenz und kompositorische Brillianz des nun vorliegenden Werks "The Life Pursuit", das bereits am Veröffentlichungstag als Meisterwerk in die Annalen der Belle And Sebastian-Historie eingehen darf.

Trug man beim Vorgänger "Dear Catastrophe Waitress" höchstens noch Sorge, dass der nie vor Hippie-Anleihen gefeite Folk-Pop der Band auf diesem Niveau irgendwann mal an seine Grenzen stoßen muss, ist Sänger Stuart Murdoch mittlerweile so locker, dass er schon Cat Stevens' "Morning Has Broken" in seinen Text einarbeitet ("Act Of The Apostle Part 1").

Am überraschendsten ist allerdings der etwas paranoide Zufall, dass "The Life Pursuit" exakt so klingt, wie man sich "Dear Catastrophe Waitress" vor drei Jahren nach der Ankündigung vorgestellt hat, Trevor Horn produziere die schottischen Feelgood-Freaks. Der 80s Pop-Impressario, der seinerzeit sogar den Ekel-Bombastrockern von Yes auf "Owner Of A Lonely Heart" einen coolen Funk-Anstrich verlieh, ließ Murdochs Combo dann aber doch seltsam unangetastet.

Stattdessen gehören nun Produzent Tony Hoffer sämtliche Meriten ans Revers geheftet, der schon Alben von Beck und Air absegnete. Dank ihm entfernen sich Belle And Sebastian endlich von der alten Soundformel Simon & Garfunkel V2.0 und setzen ihrem Harmoniereigen kantige Pop-Hörner auf. Und wo gelänge dies besser als unter der Sonne von Los Angeles, wo schon die Beach Boys nicht wussten, wohin mit all den genialen Melodien?

Songs wie das ruhige "Dress Up In You" (mit Trompetensolo) oder die schweißtreibende Beat-Single "Funny Little Frog" hätte man der Band vielleicht früher schon zugetraut. Der wahnwitzige Glamrock-Groove von "The Blues Are Still Blue" (schön angeheizt vom Rhythmusmuster im vorangehenden "White Collar Boy") ist dagegen genauso verdammtes Neuland, wie der psychedelische Soul-Teint in den Strophen von "Sunshine For You", den man in dieser Form höchstens von den Zutons erwartet hätte. Wenn Murdoch im Refrain dann völlig unerwartet zur ultimativen Endorphin-Ausschüttung ausruft, will man auch sofort nach Kalifornien, nach Malibu, zu den Kakteen, den Joshua Trees, den Granithängen und den Quarzfelsen, um mit Murdoch zu singen: "Sunshine, we all see the same sky". Oh yeah.

Kein Wunder also, dass sich der einstmals exzentrische Sänger mittlerweile lederjackentragend mit Journalisten in tadschikischen Teestuben trifft und dabei auch noch gesprächig ist. Humor hat seine Truppe ja nach wie vor genügend, was abermals die Songtexte belegen und diesmal auch ein seitenlanges Fan-Q&A im Album-Booklet. Auf die Frage an Drummer Richard Colburn etwa, ob man nicht wieder zu jenen Zeiten zurückkehren könne, als er auf Fragen nur stoisch mit "ja" oder "nein" antwortete, erwidert Richard: "nein". Oder: "Wenn Bono eines eurer Alben besitzt, welches würde es sein?" - Stuart: "The next one. Like us he still hasn't found what he's looking for."

Wonach Belle And Sebastian zukünftig noch suchen wollen, ist mir nun allerdings noch schleierhafter als schon nach "Dear Catastrophe Waitress". Ihre Hymnen (Hammer: "To Be Myself Completely") und die angerockten 60s-Popjuwelen strahlen auf "The Life Pursuit" nicht nur in güldenem Licht, sondern sind produktionstechnisch auch mit diesem gewissen Kick versehen, den man erst jetzt auf den Vorgängern vermissen darf. Nicht auszudenken, was die Band demnächst auf ihre B-Seiten packt.

Trackliste

  1. 1. Act Of The Apostle Part 1
  2. 2. Another Sunny Day
  3. 3. White Collar Boy
  4. 4. The Blues Are Still Blue
  5. 5. Dress Up In You
  6. 6. Sukie In The Graveyard
  7. 7. We Are The Sleepyheads
  8. 8. Song For Sunshine
  9. 9. Funny Little Frog
  10. 10. To Be Myself Completely
  11. 11. Act Of The Apostle Part 2
  12. 12. For The Price Of A Cup Of Tea
  13. 13. Mornington Crescent

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