laut.de-Kritik

Da bekommt man ja Angst beim Kuscheln.

Review von

Ben Zucker ist das Bindeglied zwischen Schlager und den allgegenwärtigen Songpoeten und reißt ihnen damit die Maske vom Gesicht. Denn über weite Strecken besteht der einzige Unterschied darin, dass er bei Forian Silbereisen auftritt und Forster, Bourani oder Giesinger nicht. In Musik und Texten finden sich dagegen höchstens marginale Abweichungen.

Aufgrund der Zuordnung zum Schlager wirkt Zucker sogar ehrlicher. Hier steht niemand, der sein Output als etwas anderes verkaufen möchte, als es ist. Für so einen Firlefanz hat der Sänger gar keine Zeit, denn er hat zu tun. Seine Musik ist keine Kunst, sondern Arbeit. Verschwitzt und mit ernstem Blick sitzt er an den Stücken, als wären es Gegner. Noten sind sein Holz, Songs die Schlafzimmerkommode, die er sich erkämpfen muss. Der Kunde muss zufrieden gestellt werden.

Die meiste Zeit preschen Zuckers austauschbare Tracks bis zum euphorisch Refrain voran. Denn "was wir haben ist für immer / Jeder Tag wie ein Jahr / Jede Nacht ein Abenteuer / Das ganze Leben / Was für eine geile Zeit". Die fünf Stücke, die "Na und?! Sonne!" von "Na Und?!" unterscheiden, erkennt der Laie nur durch akribisches Abgleichen der Titel. Aha! Es sind "Der Sonne Entgegen", "Ich Spür' Wie Die Liebe Zerbricht", "Immer Wieder Du", "Mein Herz Gehört Nur Dir" und "Halt Dich Fest An Mir", was wohl eigentlich "Halt Dich An Mir Fest" hätte heißen sollen, bis man merkte, dass man "wir", "dir" und "hier" gar nicht auf "fest" reimen kann. Dazu noch die drei handelsüblichen Balladen "Nimm Mich In Den Arm", "Schau Nur" und "Einfach Weg", in denen Zucker Romantik mit Anstrengung verwechselt, seine Stimme endgültig überlastet und versucht, die Emotionen in die Lieder reinzuschreien. Da bekommt man ja Angst beim Kuscheln.

Dabei stellt die Stimme des Handwerkers das wichtige Werkzeug Zuckers dar. Von Natur aus mit einem rauen Organ ausgestattet, presst er die Töne durch seine Stimmbänder und gibt alles, um diesen Effekt noch zu verstärken. Ihm ist das alles wirklich sehr wichtig. Seinen Grunge-Hintergrund hört man ihm jederzeit an. Augen zusammenkneifen, Unterkiefer nach vorne und fleißig yarlen. Call it Underbite-Schlager.

Was ihm da so wichtig ist, weiß Zucker wahrscheinlich selbst nicht. Seine vielen Songwriter und er haben nichts zu sagen. Ein weiteres Schicksal, das er mit vielen Pop-Kumpanen teilt. Die Zeiten, in denen man sich im Schlager noch die Mühe gab, Geschichten zu erzählen, Bilder zu malen oder die Lieder mit unverwechselbaren Figuren zu füllen - "Griechischer Wein", "Der Teufel Und Der Junge Mann", "Das Lied Von Manuel", und ja, selbst der ganze Backkatalog von Pur - sind lange vorbei. Stattdessen reicht ein wenig Gefasel über die Liebe und substanzlose Durchhalteparolen. Es ist nicht wichtig, dass die zwei Zeilen vorher etwas mit den zwei Zeilen danach zu tun haben. Es hört eh niemand auf den Text. "Die Welt wartet auf dich / Es kommt deine Zeit / Es gibt noch so viel mehr / Für dich steht alles bereit" ("Die Welt Wartet Auf Dich").

Werdet niemals konkret, damit sich möglichst viele Menschen zwischen Sächsischer Schweiz und Ruhrpott, zwischen Soljanka und Pommes Schranke darin wiederfinden. Scheißt den deutschen Markt mit austauschbaren Liedern zu, bei denen es egal ist, wer sie eigentlich singt. Ob das jetzt der Typ mit der Brille und der Mütze, der Kerl mit dem Lockenkopf oder der Hannebambel mit Gitarre und Lederjacke ist, spielt keine Rolle. Würde man die Songs in die Luft werfen und sie danach wahllos irgendjemandem der üblichen Verdächtigen in die Hand drücken, man hörte keinen Unterschied. Alles ertrinkt in Gleichförmigkeit. Alles ein Produkt mit so viel Seele wie ein Billy-Regal. "Fahr ab und zu nach Hause / Deine Wurzeln haben Durst." ("Nimm mich in den Arm") Na Und?! Dann fahr doch da hin und gib ihnen ein Bier aus. Cheers!

Trackliste

  1. 1. Der Sonne Entgegen
  2. 2. Ich Spür' Wie Die Liebe Zerbricht
  3. 3. Die Welt Wartet Auf Dich
  4. 4. Was Für Eine Geile Zeit (Single Mix)
  5. 5. Immer Wieder Du
  6. 6. Du Bist Alles Für Mich
  7. 7. Nimm Mich In Den Arm
  8. 8. Na Und?!
  9. 9. Längst Nicht Mehr Verliebt
  10. 10. Schönstes Haus
  11. 11. Verschworen
  12. 12. Halt Dich Fest An Mir
  13. 13. Einfach Weg
  14. 14. Viel Zu Oft An Dich Gedacht
  15. 15. Schau Nur
  16. 16. Wieder Zeit Zu Geh'n
  17. 17. Mein Herz Gehört Nur Dir
  18. 18. Was Für Eine Geile Zeit (Darius & Finlay Edit)

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