laut.de-Kritik
Die Rache des Melancholikers.
Review von Michael SchuhEr schrieb Songs für Henri Salvador, Petula Clark, Juliette Greco und natürlich für seine Schwester Coralie Clément, stand auf der Bühne mit New Order und arbeitete mit Francoise Hardy, Nada Surf und Heather Nova zusammen: Benjamin Biolay brachte es innerhalb von zehn Jahren in Frankreich zum Superstar mit internationalem Renommee.
Natürlich mit dem entsprechenden Rollenklischee: War das französische Heiligtum Serge Gainsbourg der unzähmbare Wilde, das genialische Enfant Terrible, spricht man von Biolay stets vom stillen Melancholiker, dem poetischen Romantiker des Nouvelle Chanson.
Wie sehr er dieses Etiketts überdrüssig ist, war wohl nie besser abzulesen als am Cover von "Vengeance": Knallrosa ist es geworden, und anstelle der üblichen Platzierung des eigenen Konterfeis verweben sich zahlreiche Hände mit dem ausgestanzten Wort "Vengeance", Rache.
Auch musikalisch schlägt Biolay wieder Haken. Vorbei die Zeiten, als die Akustische das Klangbild dominierte. "Vengeance" entpuppt sich als dunkles Pop-Album, für das sich der Franzose die Unterstützung internationaler Stars wie Carl Barât oder Julia Stone sicherte. Die helle Stimme der australischen Folk-Sängerin schmiegt sich in dem leisen "Confettis" zwar noch in altbewährter Behutsamkeit an den lässigen Bariton des Meisters, doch der ehemalige Libertines-Sänger und Gitarrist Barât verhilft Biolay im Titeltrack zu einem barocken Emotionsepos. Eine erstaunliche Wahl auch deshalb, weil Barâts Ex-Kollege Pete Doherty seit Jahren in Paris lebt und vielen als eine Art britisches Äquivalent von Biolay gilt.
Zu einem schleppenden Trip Hop-Beat und sehr melancholischen Streichern bestreitet Barât den nebelverhangenen Refrain von "Vengeance" alleine, bevor er in der zweiten Strophe Biolays zuvor begonnenen Sprechgesang fortführt. Zweifellos ein Höhepunkt des Albums.
Doch Biolay präsentiert weitere Gäste: Das sogar für Formatradios nicht zu anstrengende "Profite" mit Vanessa Paradis und "Ne Regrette Rien" mit dem französischen Rapper Orelsan belegen eindrucksvoll, mit welchem Feingefühl sich Biolay auf seine Kooperationen vorbereitet und die musikalischen Resultate in ein homogenes Gesamtbild einfügt.
Mit Oxmo Puccino (auf "Belle Epoque") ist ein weiterer Rapper zu Gast, der lässiges Westcoast-Feeling aufkommen lässt. Selbstredend gelingen Biolay auch die Solostücke: "L'insigne Honneur" birgt mustergültigen Wave-Pop, in "Le Sommeil Attendra" wehen die 60s hinüber und "Personne Dans Mon Lit" gerät so tieftraurig wie sein Titel ("Niemand in meinem Bett").
Während Biolay auch in Spanien, Argentinien und Brasilien mittlerweile wie ein Superstar hofiert wird, tut man sich hierzulande aufgrund der Sprachbarriere noch relativ schwer. Wenn nun aber nur die Hälfte der swingpopvernarrten deutschen Zaz-Fans "Vengeance" eine Chance gäben, fände der bald 40-Jährige schon mal ein größeres Publikum. Das Leben besteht ja nicht nur aus guter Laune.
1 Kommentar
Tolle Kritik! Ich habe die Platte schon länger und hab sie schon einige Male angehört, und freue mich daher, auf eine gut geschriebene Kritik ohne diese unsägliche französische Zitate ("en garde", "Oh lala", "rien ne va plus" etc... Ungefähr so schlau wie "halt" und "hände hoch" bei einer Rammstein-Besprechung in Frankreich wäre).
Ich mag "Marlène déconne" mit den letzten Endes sehr passenden 2000er-Disko-gedächtnis-Keyboards und den in der Tat sehr traurigen "personne dans mon lit" besonders.
Zwar bin ich ein grosser anhänger früherer, Streicher-untermalten und pathetischen Platten wie "négatif" und "Rose Kennedy", und musste mich erst an dem neuen Stil gewöhnen, aber wenn man der Platte Zeit lässt, wird sie immer besser. Zusammen mit dem Cover passt also mal wieder alles sehr Stilsicher zusammen.