laut.de-Kritik

Herzschmerz-Pop verdrängt rockige Riffs.

Review von

Eine Woche nach den Twenty One Pilots erscheint wieder die neue Platte einer Rockband, von der man vermutet, dass sie mit dem musikalischen Siegel Pop mittlerweile kein Problem mehr hat. Man müsste Biffy Clyro als alter Fanboy mal selbstbewusst entgegentreten und ihnen sagen, dass man ein Problem mit ihrer Ausgestaltung von Pop und somit auch mit der Glaubwürdigkeit hat.

Simon Neil würde wohl entgegnen, dieser Herzschmerz-Pop funktioniere einfach sehr gut für Menschen von den Inseln oder aus den Whisk(e)y-Gegenden, in denen man bei Wind und Wetter Torf sticht, also Leute aus dem gälischsprachigen Raum, denn die harte Natur fordere versöhnliche, einlullende Musik und träfe dort einen Nerv, "Shot One" würde er anführen.

Na gut, gäbe man kleinlaut zu, auch wenn das schon ein wenig nach "Cry Me A River" klingt und dieses Glockenspielarrangement ja mal unter gar keinen Umständen ginge, man könne ihnen das aber aufgrund der tollen Zweithook verzeihen. Dennoch gebe es ja wohl nicht einen einzigen plausiblen Grund, dass "Goodbye" zu drei Vierteln wie James Blunt klingt oder der Refrain von "A Little Love" wie eine schlechte U2-Nummer.

Man sei halt ein wenig enttäuscht, weil der Vorbote "Hunting Season" ein Brett war, kurzer Verse, ordentlich Gewitter in der Bridge, Chorus leicht hymnisch, das Ganze zweimal, danach entgleitet der Song in das, was man im Jargon der Neunziger Gitarrengewichse genannt hätte. Aber nur ein wenig, denn Simon, James und Ben, Gitarre, Bass und Schlagzeug dampfwalzen sich in Helmet-Manier auf höchst verzückende Weise zum abrupten Songende. "Friendshipping" sei auch geil geraten und irgendwie auch "Dearest Amygdala" mit seinen "Xanadu"-Disco-Musical-Anklängen, und man habe ja grundsätzlich nix gegen Pop ...

"Aber du bist doch auch damals bei 'Puzzle' auf uns aufmerksam geworden, hast "Machines" geliebt", würde Simon entgegnen, und ich würde mit den Händen fuchteln, weil ich nach Worten suche, es ihm plastisch zu erklären, um ihn dann annähernd anzuschreien, denn: Das ... hatte Substanz, war kernig, bitter-schön, mit Widerhaken. Und Simon fiele mir ins Wort: "So wie 'A Thousand And One', oder?"

Naja, nicht wirklich, würde ich antworten, viel zu viel Schmalz. Es sei sicher verführerisch, der Gedanke an ein Meer an Feuerzeugen in Wembley, aber: Ich will euch so nicht! Hymnisch gern, Barclay James ... Dredg in "Matroshka" etc. Ich wolle jetzt auch nicht jeden der neuen Songs sezieren, ins Detail gehen, aber ich sei nun einmal mit der Gesamtentwicklung unzufrieden.

"Wembley ist es nicht!", antwortet Simon störrisch, macht auf dem Absatz kehrt und zieht von dannen, und man denkt sich, er ist am Ende des Tages dann eben doch nur ein Rangers-Fan und ich Celtic. "Two People In Love"? Definitiv gerade nicht die Umschreibung unserer Beziehung.

Trackliste

  1. 1. A Little Love
  2. 2. Hunting Season
  3. 3. Shot One
  4. 4. True Believer
  5. 5. Goodbye
  6. 6. Friendshipping
  7. 7. Woe Is Me, Wow Is You
  8. 8. It's Chemical!
  9. 9. A Thousand And One
  10. 10. Dearest Amygdala
  11. 11. Two People In Love

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6 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 21 Stunden

    "True Believer" ist vielleicht einer der besten Songs ihrer Bandgeschichte. Der Rest der Platte ist eher meh. Was sehr, sehr schade ist. Die Arrangements, Streicher usw., allgemein die Produktion sind ganz fantastisch - ein paar ihrer älteren Songs hätten diese Behandlung wirklich gut vertragen. Auf "Futique" reicht die Qualität im Songwriting aber einfach nicht aus - da kann das alles noch so schön klingen.

    • Vor 12 Stunden

      Da sachste was mit „True Believer“ als einer der besten Biffy-Songs.
      Ansonsten finde ich den Opener noch ganz gelungen, aber ich war früher auch U2-Fan…
      Der Rest ist überwiegend das, was man heute von Biffy Clyro erwarten kann, sie haben halt ihren Trademark-Sound und ihr Song-Baukastensystem gefunden; „Dearest Amygdala“ vielleicht noch etwas überraschend, aber auch nicht wirklich gut.

  • Vor 20 Stunden

    "Aber du bist doch auch damals bei 'Puzzle' auf uns aufmerksam geworden..."

    Nein, das bin ich schon zu Zeiten von Infinity Land, hab kurz danach The Vertigo of Bliss kennen und lieben gelernt und bin daher umso enttäuschter, was ihr beginnend mit Puzzle und dabei stetig zunehmend bis zur heutigen absoluten Mehrheit eurer Songs für eine widerwärtige Perversion von Incubus' "Geheimer Leitfaden für ehemals furchtbar interessante Indie- & Alternativebands, zum zukünftig kommerziell erfolgreich Full Pop zu gehen" als Bandkarriere hingelegt habt. Die 1-2 "abgedrehteren Rocksongs", die ihr pro Albung durchschnittlich noch liefert, sind qualitativ schon lange keine Rechtfertigung mehr für den Kauf der ganzen Platte und sind nicht halb halb so verrückt, originell und abgedreht wie ihr denkt.

    Gehört 2/5, weil ich halt nicht erst zu Puzzle eingestiegen bin und somit diesen weichgespülten, abgeschliffenen Suckerpop nicht schon beim Kennenlernen als unumgänglich auf Platten dieser Band angewöhnt bekam.

    • Vor 19 Stunden

      Kann mit dem Take sehr viel anfangen. Ihre ersten drei Scheiben waren wirklich extrem gut. Hatte mich auch sehr lange geweigert, "Puzzle" und erst recht die Nachfolger zu mögen.

      Kann Incubus und allgemein diesen wehleidigen US-amerikanischen Alternative-College-Pop-Rock nach wie vor gar nicht leiden. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber irgendwann konnte ich meinen Ekel überwinden, und plötzlich gefiel mir rund die Hälfte aller Songs von Biffy Clyro. Vielleicht lags auch daran, dass sie live sensationell gut sind, und dort auch gerne mal weniger von den poppigen Tracks spielen. Vor allem "Puzzle" als Übergang mag ich heute.

      Wie erwähnt, etwas peinlich ist es mir schon. Muss mir auch regelmäßig verdiente Schellen abholen von meinen Bekannten, die dreckige Bandmusik schätzen. Aber was will man machen. Diese Platte hier ist jedenfalls wirklich ein kreativer Griff ins Klo.

    • Vor 19 Stunden

      Danke, bin genauso in Teilen ganz bei deinem Kommentar: Das klingt alles extrem ansprechend aufgenommen und produziert. Modern, aber keinesfalls nach schnell hingeschludertem Platikschmutz. Nur nutzt halt aller Schönklang der Welt nichts, wenn deine Songs überwiegend Baukasten-Schrott ohne Seele sind.

  • Vor 19 Stunden

    Da kann auch der obligatorische Visions-Hype nichts mehr retten.
    Mother Tongue wurde hingegen immer völlig gerechtfertigt gehyped.

  • Vor 17 Stunden

    echt gut rezensiert, Kompliment! Ich mag die Platte sehr, aber ich bin halt auch einer der "two people in love".

  • Vor 10 Stunden

    In a fucked up world I take every feeling I can!

  • Vor einer Sekunde

    Starke Rezension. Hätte es auch gerne etwas deftiger, aber je länger ich es höre, desto mehr Spaß macht es. Freue mich auf das Februar Konzert in Offenbach.