laut.de-Kritik
Jeder, der Buchstabensuppe isst, könnte bessere Texte kotzen.
Review von Ulf KubankeProvokation kann so spannend sein, wenn sie funktioniert und nicht lediglich um ihrer selbst Willen daher kommt. Big Boy hingegen haben sich ganz bewusst für den musikalischen Holz- bzw. Vorschlaghammer entschieden. Der nervt jedoch eher, als dass er provoziert. "Ponygirl" heißt das zweite Album der deutschen Wahlamerikaner. Der Titel bezeichnet - das ist sicherlich kein Geheimnis - eine geläufige Spielart der BDSM-Szene.
Klar, Sex'n'Drugs'n'Rock'n'Roll sind und waren stets sündige Verlockung und Medizin gleichermaßen für die dürstenden Seelen unserer entmystifizierten Alltagswelt. So gesehen hat das Vorhaben nichts Schlechtes an sich. Schade nur, dass die Umsetzung des gezwungen und bemühten Schock-Konzepts so dermaßen unsympathisch, stümperhaft simpel und künstlerisch primitiv ausfällt.
Die Musik labbert Lust killend als Mischung aus Abzählreim, abgedroschenstem Cockrock und bräsigem Sauflied aus den gequälten Boxen. "Diese Welt", "I Hate Myself", "My Own Rules", oder "Heroin Heroine" sind dermaßen pennälerhafte Anti-Kompositionen aus dem ironiebefreiten Ersatzteillager des Schweinerock, dass dagegen sogar die Böhsen Onkelz oder Rammstein in ihren abgeschmacktesten Momenten klingen, als wären sie große Komponisten vom Schlage eines Bach.
Auch der Gesang bringt keine Linderung. Man stelle sich einen aus dem letzten Loch pfeifenden Marilyn Manson für ganz Arme nach fehl geschlagener Kehlkopf-OP vor. So jemand klänge noch wie eine Nachtigall im Vergleich zu Big Boy. Das hat nichts Ruppiges oder gar Subversives; nichts typisch metallisch Rohes an sich, hier herrscht Dilettantismus pur.
Regeln brechen ist cool, keine Frage. Aber wer sie bricht, sollte sie zumindest handwerklich einigermaßen beherrschen. Die Pseudo-Ballade "You Said" ist diesbezüglich der absolute Tiefpunkt. Ein an sich geschmackvoll klingendes Piano umrahmt die wohl übelste Gesangsleistung des laufenden Jahres. Da darf man sich gerne fachmännischen Rat bei hervorragend besoffenen Nichtsängern von Weltformat à la Shane Mcgowan (Pogues) holen. Ob das noch Realsatire ist oder schon Publikumsverachtung sei dahin gestellt. Unerträglich ist es in jedem Fall.
Die Lyrics bestehen entweder aus simpelsten Plattitüden ("Keine Freiheit ohne Krieg! (...) Wir hier gegen diese Welt!") oder dümmlichem Dirty Talk der Marke "You bloody cunt, you dick!". Jeder, der Buchstabensuppe isst, könnte mutmaßlich einen besseren Text kotzen als das hier. Das stumpfe Beackern von SM-Klischees wirkt hier nicht penetrierend, sondern penetrant. Die subtile Eleganz und gleichermaßen abgründige bis tiefgründige Sexyness der Sadomaso-Szene erfährt hier geradezu eine Verhohnepiepelung.
Dabei gäbe es so gute musikalische Vorbilder. Ob nun Velvet Undergrounds ewige Hymne "Venus In Furs", Die Form mit ihren mitunter erschreckend destruktiven Elektrophantasien oder Sleep Chambers großartig obsessives Meisterwerk "Spellbondage". Jeder hat dem BDSM und der Kunst eine eigene Facette hinzugefügt. Das teutonische Quartett wirkt hingegen wie pickliges Proletenrock-Geblubber der langweiligsten Sorte.
45 Kommentare
"Jeder, der Buchstabensuppe isst, könnte mutmaßlich einen besseren Text kotzen als das hier."
Ulf, ich neige demütigst das Haupt vor dieser Formulierung. Ich wünschte, das wäre mir eingefallen!!!! Ganz große Formulierungskunst.
Das klingt so dermaßen schlimm, dass ich fast schon wieder interessiert bin, mir die zumindest mal ein Lied lang anzuhören ^^
... kann wahrscheinlich jeden noch so mies verlaufenen Tag retten.
Wunderschöner Verriss.
hach kuki, manchmal könnt' ich dich
Kritik gut oder schlecht..
was nicht mainstream ist, wird zerfetzt?
da kommt einer, der nur das macht wozu er bock hat und schon isses scheiße?
mir egal aber: If you don't have anything nice to say, don't say anything at all.
come on, deshalb wurde auch "sleep chamber" und "die form" erwähnt....weil man sich nach mehr mainstream sehnt.
gib dir mal die rezi-liste und dann wirf mir den schrott noch mal guten gewissens vor.
im übrigen isses ja nur schlecht gemachter pseudoschräg-mainstream.
mainstreambeats, mainstreamriffs, -provokation.
nur eben handwerklich noch schlechter.
gg allin war dagegen ja direkt ein begnadeter virtuose. so jemand ist echte provo gewesen. aber nicht so ein killefatz