laut.de-Kritik
Lässig älter werden mit Blues und Swing.
Review von Joachim Gauger"Modern Times"? Von Bob Dylan? Widerspricht sich das nicht schon im Ansatz? Gleich der erste Track "Thunder On The Mountain" auf Dylans erstem Studioalbum seit fünf Jahren macht jedenfalls klar, dass die Legende sich treu bleibt und nicht plötzlich mit Samples, Raps und Breakbeats daher kommt. Vielmehr schließt "Modern Times" nahtlos an den Vorgänger an, der mit Country, Rockabilly und Western Swing dem guten alten Amerika huldigte.
Auf die Eröffnung im Rhythm'n'Blues-Shuffle-Takt folgt ein erster Höhepunkt, so entspannt wie in "Spirit On The Water" hat man Bob Dylan noch selten gehört. Fast acht Minuten lang säuselt der Sänger in hoher Tonlage Liebesschwüre zu der immer gleichen leicht absteigenden Riff-Folge - im Vergleich zu seinen frühen Protestsongs, in denen schon der Klang der Stimme Aufbegehren und Verweigerung ausstrahlte, muss man diesen Track fast Ballade, wenn nicht Schlaflied nennen.
"Rollin' And Tumblin'" klingt exakt so traditionell nach Chicago-Blues, wie der Titel es andeutet, bevor "When The Deal Goes Down" wieder eine gelassene und nachdenkliche Altersweisheit nach außen kehrt. Große Überraschungen bleiben auch in der Folge aus; die meisten Songs bewegen sich im Rahmen der klassischen amerikanischen Musikstile, wobei Rhythm'n'Blues, Country und Western Swing, von bestens aufgelegten Musikern präsentiert, eine maßgebliche Rolle spielen.
Gegen Ende des Albums brechen "Nettie Moore" und "Ain't Talkin'" noch mal aus dem Schema aus. Beides sind melancholische und sehr tiefgehende Lieder, die sich keinem Schema fügen und stilistisch kaum einordnen lassen. Fest steht jedenfalls: dieses schöne Album verweigert sich jeder Mode.
In unseren oberflächlichen "Modernen Zeiten" wirkt Dylan so fehl am Platz wie Charlie Chaplins Tramp in der Räder-Welt des gleichnamigen Films. Anders jedoch als bei Chaplin, der wegen seines Films des Kommunismus' und "anti-amerikanischer Umtriebe" verdächtigt wurde und auch deshalb Jahre später die USA für immer verließ, muss man beim Songwriter schon genau hinhören, um kritische Töne aus den Lyrics heraus zu hören.
In Songs wie "Workingman's Blues" beschreibt Dylan die Folgen der Globalisierung-Prozesse; an anderer Stelle klagt er, die Wissenschaft sei so unglaubwürdig geworden, dass man sich am liebsten an die Bibel halten würde - wenn nur die Prediger nicht so verdammt geschwätzig wären. In den Texten äußert sich ein düsterer Existenzialismus, dem allein die Macht der Liebe etwas entgegen zu setzen hat.
Fast seit Anbeginn seiner Karriere wehrt Bob Dylan sich dagegen, als Sprachrohr einer protestierenden Generation vereinnahmt zu werden. In den "modernen Zeiten" ist auch dieser Bezugspunkt verloren gegangen, hier spricht endgültig jeder nur noch für sich selbst ...
26 Kommentare, davon 5 auf Unterseiten
Bob Dylan - heute schon eine Legende und zweifellos einer der besten und wichtigsten Musikern, die das letzte Jahrhundert hervorgebracht hatte - veröffentlichte die Tage sein neues Album "Modern Times". Endlich. Und schönerweise folgt es etwas dem Stil der letzten Alben, die ich wirklich absolut hochschätze.
1. thunder on the mountain - 5:55
2. spirit on the water - 7:42
3. rollin' and tumblin' - 6:01
4. when the deal goes dow - 5:04
5. someday baby - 4:55
6. workingman blues no.2 - 6:07
7. beyond the horizon - 5:36
8. nettie moore - 6:52
9. levee's gonna break - 5:43
10. ain't talkin' - 8:48
und auf der Limited Edition gäbs folgendes dazu:
1. Blood In My Eyes
2. Love Sick - Live "Grammy" Version
3. Things Have Changed - "Wonder Boys" Promo Video
4. Cold Irons Bound - Live Video
Begeistert sind nach einem kurzen Blick in die Kritikerrunde alle, auch wir hier?
Und hey, wieso kann man eigentlich keine Umfragen mehr erstellen?
@|eclipse («
Begeistert sind nach einem kurzen Blick in die Kritikerrunde alle, auch wir hier?
Und hey, wieso kann man eigentlich keine Umfragen mehr erstellen? »):
Denke, wir werden das Album hier noch gebührend besprechen. Ich hab's zum Beispiel leider noch nicht. Dass es jetzt irgendwann kommt, wusste ich schon, aber wann ist der genaue Veröffentlichungstermin in Deutschland? War der schon letzten Freitag?
Ach ja, wenn ich mich recht erinnere ist für Umfragen der "Senior Member Gold"-Status erforderlich.
Nach einem Durchlauf:
Sehr schönes Album. Ausgestattet mit einer sehr guten Balance zwischen rockigen und ruhigen Tracks.
Favs bisher:
Thunder on the mountain, Spirit on the water, Beyond the Horizon und The Levee's gonna break.
Und natürlich Blood in my eyes auf der DVD.
so, bin auch mal in der Lage ein Feedback zu geben:
Wiederum sagt mir dieses neue Album von Bob Dylan völlig zu. Seien es die wirklich leicht chansonhaften, jazzigen Stücke wie "Spirit on the water" oder das altmodische "Beyond the horizon" (find ich völlig hinreissend!), das soulige "Workingman's Blues 2", die Blues-Country-Swinger wie "Rollin' and tumblin" oder "Thunder On The Mountain" - alles gefällt mir ganz vorzüglich. Besonders gelungen find ich aber, wie scheinbar jeder hier, das abschliessende "Ain't Talkin", das kann man ruhigen Gewissens als genial bezeichnen.
Vielleicht etwas überraschungsarm das Ganze ... aber ist mir eigentlich völlig recht!
Und: "Nettie Moore" ist auch so wunderbar.
@|eclipse («
Vielleicht etwas überraschungsarm das Ganze ... aber ist mir eigentlich völlig recht! »):
Ja. In sich ist es in gewisser Hinsicht überraschungsarm. Ich würde es aber vielleicht eher "zurückgenommen" nennen. Klingt positiver. Die Überraschungen finden sich halt mehr in den Details. Darin besteht vielleicht auch die Antithese zum Titel "Modern Times".
Aber die Fähigkeit, seine Songs mit einem gewissen ... tja, lockeren Charme oder so (wie in "Spirit On The Water"), vorzutragen, finde ich schon irgendwie überraschend. Bei Dylan bin ich auf hermetische Metaphern, surrealen Witz, mystische Romantik, düsteren Existenzialismus und alles mögliche dieser Art gefasst, aber nicht auf Idyllisches.
Ja, stimmt eigentlich.
Die Lyrics stehen teilweise zumindest auch im Gegensatz zu dieser "altmodischen" Musik, so die schon erwähnte und etwas verwirrende Erwähnung von Alicia Keys, deren Musik Dylan ja (zu Recht) grossartig findet ... aber anyway, wenn man, falls man dies sowieso nicht schon tun sollte, den Grossteil der Lyrics auf "Modern Times" unter dem Kontext betrachtet, dass Dylan das neue, moderne Amerika portraitiert, wirds wirklich ungemein interessant.
Bleibt zu sagen, dass "Modern Times" mit den jüngeren Glanzstücken wie "Time Out Of Mind" und "Love and Theft" mithalten kann und demnach wiederum ein kleines Meisterwerk ist.