laut.de-Kritik
Bob Dylan auf dem Höhepunkt.
Review von Markus BrandstetterDie neue und mittlerweile zwölfte Ausgabe von Bob Dylans Bootlegs-Reihe offenbart einen wahrhaft außergewöhnlichen Einblick in das wohl produktivste und gravierendste Zeitfenster im Schaffen des selbsternannten Song-And-Dance-Man. Es waren nicht mehr als vierzehn Monate zwischen 1965 und 1966, in denen drei der essenziellsten Alben aus Dylans Kanon, "Bringing It All Back Home", "Highway 61 Revisited" und das Doppel-Album "Blonde On Blonde" geschrieben und aufgenommen wurden. Die kulturelle Einschlagskraft von Dylans Entwicklung und Output in dieser Zeit muss heute nicht mehr analysiert oder gar affirmiert werden, alleine über "Like A Rolling Stone" sind ganze Bücher geschrieben worden. Längst ist Dylan gleichermaßen zum akademischen Gegenstand sowie zur hochdekorierten Historizität in Überlebensgröße mutiert. Er selbst scheint das weitgehend unbeeindruckt hinzunehmen und konzentriert sich aufs Touren und auf in erfreulich kurzen Abständen erscheinenden neuen Alben.
"Bob Dylan 1965-66: The Cutting Edge" erscheint in mehreren Versionen, und für die Begehrenswerteste muss der geneigte Hörer auch ganz schön tief ins Portemonnaie greifen: Beinahe 600 Dollar kostet die auf 5.000 Stück linierte Deluxe-Edition. Die hat es aber in sich: Auf 18 CDs befindet sich jeder in diesen Jahren im Studio aufgenommene Ton Dylans, das beinhaltet Outtakes, Proben, Fragmente sowie Alternativ-Versionen. Eine ganze CD allein widmet sich nur den verschiedenen Takes von "Like A Rolling Stone". Dazu gibt es unter anderem ein schickes Buch mit bis dato unbekannten Fotografien, neun Vinyl-Singles sowie einen Filmstreifen von "Don't Look Back". Wem das bei aller Liebe doch zu viel Geld ist, der hat auch die Wahl zwischen einem 6-CD-Set beziehungsweise einer Best-Of-Edition mit wahlweise 2 CDs oder 3 LPs.
Dylan selbst wirkte damals, als hätte ihm der Allmächtige persönlich einen gehörigen Arschtritt gegeben, meinte Produzent Bob Johnston einst. Man kennt die Bilder ja: Dylan als hyperkreativer Zappelphilipp unter Dauerstrom, der die grandiosen Zeilen, Lieder und Takes nur so aus dem Ärmel zu schütteln schien. Wir werden hier mitten rein geschleudert in diesen Zenit von Dylans Produktivität, und es gibt viel zu entdecken. Beispielsweise eine wunderschöne Demo-Version von "Desolation Row" mit Dylan am Klavier, begleitet wird er nur von einem Kontrabass. Von diesem Stück gibt es im selben Atemzug auch einen Alternate Take zu hören, ebenfalls aufs Knochengerüst reduziert, statt Klavier trägt diese Version aber Dylans Akustikgitarre.
Dass "Mr. Tambourine Man" ebenso im Full-Band-Gewand mit Schlagzeug daher hätte kommen können, beweist ein unvollständiger Take, den Dylan dann aber spontan abbricht. Launisch trieb Dylan Stücke wie "Just Like A Woman" in scheinbar ganz andere Richtungen und Fahrwasser. Einige der Songs sind wiederum recht nah an dem, was wir heute als "Originalversion" bezeichnen, bei "I Want You (Alternate Take 4)" und "One Of Us Most Now (Sooner Or Later)" beispielsweise.
Eines der Highlights: Bevor "Visions Of Johanna" in den Nashville-Sessions schlussendlich zu der Akustik-Nummer wurde, die auf "Blonde On Blonde" erschien, probierte er es als treibenden Rock'n'Roll, was eine grandiose Probeaufnahme beweist. Man hört Dylan zwischen den Aufnahmen witzeln und lachen, er macht kurze Ansagen, gibt Anweisungen. "Alcatraz to the ninth power", sagt Produzent Tom Wilson kurz vor einem Take ins Mikrophon, Dylan unterbricht: "Noooooo. That's not the name of it". "That's what you told me", meint Wilson. "I switched songs. This song is... ummm... ummm. Bank Account Blues", alle lachen. Daraufhin spielt Dylan eine erste Demo-Version von "I'll Keep It With Mine" (dessen früherer Titel eben "Bank Account Blues" war), am Piano. Ähnlich bei "Absolutely Sweet Marie": "What's the name of this, Bob", fragt wiederum Bob Johnston. Dylan überlegt: "Where Are You Tonight, Sweet Marie".
Keine Frage: "Bob Dylan 1965-66: The Cutting Edge" beinhaltet Rock-Zeitgeschichte von unschätzbarem Wert. Es zeigt einmal mehr, wie offen in alle Richtungen Dylans Stücke waren und wie sie scheinbar wie Elektrizität durch ihn hindurch flossen. Für welche Version man sich auch entscheidet: Man muss kein(e) großer Dylanist(in) oder Totalfetischist(in) sein, um von diesen Aufnahmen auf phänomenale Art und Weise in die Mitte eines musikalischen Geschehens gezogen zu werden, das bis heute von seiner Strahlkraft nichts verloren hat. Der Hörer darf hier im Studio dabei sein und Mäuschen spielen. Jede Sekunde lohnt sich.
5 Kommentare mit 4 Antworten
Ungehört 1/5.
Ungehört 5/5.
gehört 5/5
und zwar die 18 cd limitierte box..mit 379 tracks
es ist interesant und faszinierend zu hören ..wie unterschiedlich die verschiedenen versionen ein und desselben songs klingen. ausserdem bekommt man mit wieviel spaß dylan bei den aufnahmen hatte
Bei mir mittlerweile auch.
Bringt auf seine alten Tage noch richtig gutes zeug raus. Mal sehen wie seine live Qualitäten noch rüberkommen
4/5 - 5/5
tja , bei seinen live Auftritten schwelgt er gerade auf Sinatras Spuren. Meiner Meinung passt das gar nicht. War trozdem interessant bei seinem Konzert.
Ungehört 1/5.
Unerhört 1/5.