laut.de-Kritik
Musikalische Reise zurück in die Sechziger.
Review von Giuliano BenassiAls Bob Dylan 1994 bei MTV Unplugged auftrat, feierte er so etwas wie ein Comeback. Zwar hatte er mit "World Gone Wrong" (1993) ein halbwegs neues Album am Start und sich zum 50. Geburtstag mit einem prominent besetzten Konzert ein Denkmal gesetzt. Im kollektiven Gedächtnis war er jedoch zu einem alternden Barden verkommen, dessen Beitrag zur Musikgeschichte schon lange zurück lag.
Umso erstaunlicher fällt nun die Entscheidung, den Fernsehauftritt als seine erste offizielle DVD zu veröffentlichen. Hat er doch mit "Time Out Of Mind" (1997) und "Love And Theft" (2001) in den folgenden Jahren zwei hervorragende Alben heraus gebracht, zudem unzählige Konzerte gegeben und unermüdlich an seinem Repertoire gefeilt.
Ohne Beanstandung fallen dagegen das auserwählte Material und die Aufnahmequalität aus. "Tombstone Blues" eröffnet eine Best Of-Show, in die sich nur zwei neuere Stücke verirren: das schöne "Shooting Star" und "Dignity", beide von 1989. Ansonsten geht die musikalische Reise zurück in jene Zeiten, in denen Dylan den wohl einflussreichsten Komponisten abgab: die Sechziger. Ob "The Times They Are A Changin'", "Like A Rolling Stone", "John Brown" oder "Love Minus Zero/No Limit" – die Gunst der Zuschauer im Studio und vor dem Fernseher ist ihm sicher, zumal er die Stücke nicht wie gewohnt zerpflückt. War es die Auflage von MTV oder die Notwendigkeit, eine strickten Zeitrahmen einzuhalten? So originaltreu hat sich Bob Dylan jedenfalls selten angehört.
Optisch spielt er den Coolen: schwarzer Anzug, schwarze Roy Orbison-Sonnenbrille, schwarzer Lockenkopf. Lediglich das Hemd mit weißen Kugeln passt nicht so richtig ins Bild. Seine Akustikgitarre, Mundharmonika und schnarrende Stimme begleiten gekonnt ein zweiter Gitarrist, eine Slide-Guitar, ein Kontrabassist, ein Schlagzeuger und eine Hammond-Orgel. Auf der Bühne passiert kaum etwas, aber das Sextett strahlt eine Würde aus, die das Publikum zu andächtigem Lauschen und höflichem Beifall verdammt.
Zwar serviert Dylan "All Along The Watchtower" und "Knockin' On Heaven's Door", er lässt es sich aber nicht nehmen, auch seine kritische Seite zu zeigen. "Everybody must get stoned" verkündet er in "Rainy Day Women #12 & 35", trägt davor das epische "Desolation Row" vor und beendet die Veranstaltung mit einem seiner besten Stücke, dem bewegenden, zugleich sarkastischen "With God On Our Side". "Das Land, aus dem ich stamme, nennt man den Midwest. Dort wuchs ich auf und lernte, das Gesetz zu respektieren. Und auch, dass das Land, in dem ich lebe, Gott auf seiner Seite hat". Worte, die angesichts der aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik kaum 40 Jahre alt klingen.
Nach 73 Minuten ist die Vorführung zu Ende. Zwar prangt auf der Rückseite der Hülle der Hinweis, dass vier Stücke nicht Teil der Originalausstrahlung waren, die Tracklist der DVD entspricht aber der 1995 veröffentlichten gleichnamigen CD. Das ist enttäuschend, zumal sich der einzige Unterschied auf eine Tonspur in Dolby 5.1 beschränkt. Kein Bonusmaterial wie Diskografie, Fotos oder gar ein Interview. Zu wenig, um zu überzeugen? Nein, nicht wirklich, denn es handelt sich um Bob Dylan.
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