laut.de-Kritik
AOR, der gegen jede Erwartungshaltung rebelliert.
Review von Mathias MöllerIst es möglich, den Begriff "Adult Oriented Rock" positiv zu besetzen? Wenn ja, Bob Mould böte sich an. Der frühere Hüsker-Dü-Frontmann kehrt nach dem reduzierten "Body Of Song" und dem elektroiden "Modulate" zurück zum etwas krachigeren Sound. Elektrische Gitarren sind wieder erlaubt, für das Drumfundament sorgt niemand geringeres als Fugazis Brendan Canty.
Das Booklet schmücken Bilder eines Flughafens, die Songs beschäftigen sich angeblich mit Moulds neuem Wohnort Washington, D.C. Der Musiker erfindet sich also immer wieder neu, ist in Bewegung. "District Line" ist dabei keine übermäßig spannende Wegmarke, aber immer noch eine, die sich gut hören lässt.
Den Opener dominiert Mould mit seiner sonoren Stimme. Eindringlich beschwört er seinen Adressaten: "Please listen to me, and don't disagree". Eine fast schon liebliche Gitarrenlinie gesellt sich dazu, im Refrain begibt sich der Sänger fast schon bedenklich nah an die Grenze zum peinlich chartkompatiblen Poppunk. Mit der Vocoder-verzerrten Stimme setzt er noch einen drauf. Aber das ist wohl Mould. Erwartungen? Vergiss sie!
Halbakustisch fragt er dann "Who Needs To Dream?", bevor es mit dem akustischen "Again And Again" noch ein bisschen ruhiger wird. Letztere Nummer entpuppt sich als bittere Abrechnung mit einer großen Enttäuschung. Musikalisch bleibt es durchgängig ohrgängig und angenehm. Böse Zungen mögen sagen: an der Grenze zur Belanglosigkeit.
Kurze Ausflüge in rockigere Gefilde gibt es mit "Return To Dust" oder dem Midtempostück "The Silence Between Us". Dritte Musikerin im Bunde ist übrigens Amy Domingues, die auf einigen Tracks ihr Cellospiel beisteuert. Den Rest besorgt Multiinstrumentalist Mould selbst.
Insgesamt ist "District Line" stellenweise interessant instrumentiert, dicht und durchdacht arrangiert. Für meinen Geschmack hin und wieder etwas zu dicht, die Songs wirken nicht immer locker. Die ein oder andere Spielerei (Vocoder!) hätte er sich sparen können, im Großen und Ganzen geht das siebte Soloalbum des Amerikaners durchaus in Ordnung.
1 Kommentar
bob mould und AoR ?
interessante hypothese, herr möller.
warum nicht einen so treffenden vergleich bringen, wo er angebracht ist. in der tat erfreuen sich refrainselige songs wie der opener "stupid now" einer gepflegt rockigen eingängigkeit, die eine deutlich nähere verwandtschaft zu klassischen us-AoR-rockikonen wie russ ballard aufweist als zu hüsderdüs "new day rining".
aber würde man sich dies im ernst fragen, wüßte man nicht um die unter denkmalsschutz stehende noise-pioniervergangenheit von old bob? ehrlicherweise wohl nicht. man würde die songs einfach auf ihre songwriterische qualität hin überprüfen und nicht dauernd richtung 80er schielen.
diese tracks haben es nämlich verdient, unvoreingenommen betrachtet zu werden, so weit es einem als hüskerdü-freund eben möglich ist.
meines eindrucks nach schließt dieses album genau dort an, wo bob mould nach "workbook" und "black sheets of rain" bzw spätestens nach "copper blue" aufgehört hat: dem komponieren von zwingenden songs.
hat er sich mit ersterem rein akustischen werk gar als singer & songwriter präsentiert und auf dem 2.genannten den bewährten lärmknüppel aus dem sack gelassen, so vermag mould inzwischen beide seelen in seiner brust harmonisch miteinander zu vereinen.
dieser facettenreichtum gelingt ihm teilweise sogar in ein und demselben song (vgl. "very temporary", rechter kanal akustisch, linker kanal fuzzy oder "again and again", das auf einem sanften acousticteppich losfliegt, um am ende in den typisch mould'schen eruptionen auszuklingen).
"old highs-new lows" bringt mit beschwörender geste das für bob typische hadern mit der (jeweiligen) gegenwart auf den punkt, ohne sich jammerndem bzw waschlappigem emo-geheule hinzugeben.
überhaupt bleibt b.m. textlich zumeist seinem ewigen roten faden treu: der desillusionierung, dem mangel an vertrauen und der destruktiven kommunikationslosigkeit in zwischenmenschlichen beziehungen (vg. "silence between us", "very temporary").
doch gibt man sich dem gerne hin, wird es hier doch nie selbstmitleidig, sondern bleibt authentisch emotionale momentaufnahme.
findet man hier einen nachfolger zu eingängigen glanztaten der vergangenheit a la "stop yer cryin'" (black sheets) oder "if i can't change your mind" (copper blue)?
klares ja! fast alle lieder bleiben schon nach dem 2. hören haften, ohne nach dem 5. genuß langweilig zu werden.
bemerkenswert und herausstechend ist hier insgesamt wohl vor allem das letzte stück, "walls in time"; eine wundervolle ballade, in welcher zum ersten mal überhaupt zarte streicher-arrangements mit der akustischen gitarre kombiniert werden. der sehnsuchtsvolle charakter wird hierbei ins hypnotische gesteigert, ohne die kitschgrenze auch nur in sichtweite zu haben.
unprätentiöse große songwriterkunst!
ist bob mould also nach langer zielloser musikodyssee endlich im hafen vor anker gegangen? ja!
katapultiert er sich damit in den olymp derzeitiger us-songwriter creme de la creme? ja!
wird das entsprechend der masse von konsumenten, radio- und mtv-redakteuren goutiert werden? nein!
es steht zu befürchten, das der kommerzielle mißerfolg wohl leider äquivalent zu der qualität dieser cd ausfallen wird. schade!