laut.de-Kritik

Endlich wieder solo!

Review von

Beträchtlicher Nachteil eines ewig jungen Bubi-Aussehens ist, dass der ungnädige Meister Zeit ab einem gewissen Punkt besonders hohen Tribut fordert. Brendan Benson ist so ein Fall eines seit Jahrzehnten verschmitzt dreinschauenden Jünglings, der im Video "Good To Be Alive" mit nunmehr 50 Jahren aber aussieht wie der Facemorph aus Campino und dem schon immer alten David Byrne.

Der Song, eine der Singles zum neuen Album "Dear Life", kommt dafür um so jugendlicher her. Das Albumhighlight überzeugt auch im Songwriting mit seiner starken mehrstimmigen und von tröpfelnden Bässen dominierten Schlussphase. Es zeigt Benson elektronischer und mit einer lässigen Leichthändigkeit, die dem Nashviller bei seinen letzten Alben etwas abging.

"Dear Life" ist Bensons erstes Album beim Label des Raconteurskollegen White, der auch als "Sequencer", was immer das in diesem Fall genau bedeuten mag, fungiert. Fast mehr noch als die groß angelegte Promokampagne zeigt das Engagement von Michael Ilbert als Mixer und Joe LaPorta für Mastering, beides gestandene Grammy-Gewinner, dass "Dear Life" endlich der kommerzielle Durchbruch des unter dem Kevin-Coyne-Syndrom leidenden ewigen Geheimtipps Benson sein soll. Hier meint es jemand ernst und wird dabei auf einmal fröhlicher. Denn Benson fordert gar nicht "More" vom Leben, er begnügt sich mit einem introspektiven "Dear".

Was er sieht, gefällt ihm wohl, denn das nach eigenen Angaben unter starken Cannabiskonsum ("cali sober") entstandene Album fährt eine deutlich hellere Farbpalette an Texten auf, als man es von ihm gewohnt ist. Man denke nur an das am Partner verzweifelnde "It's Your Choice" oder das lakonische "Happy Most Of The Time". Seitdem wurde er Familienvater und ein schlechterer Texter. Die Stärke des amerikanischen Thees Uhlmann lag bislang darin, empathisch und emotional nahbar zu schreiben.

Die simplen Kreuz- und Paarreime von "I Quit" und das wie von einer Werbeagentur getextet wirkende "Baby's Eyes" legen allerdings neue Schwächen und allzu große Simplizität offen. Oder wie "Rich Man" es formuliert: "I got two beautiful babies, one hell of a good-looking wife", dazu bietet der einzige Albumsausfall billige Trompeten (und ein billiges Video). Geschmacksverirrung als Problem ist neu für Benson, der Wille zur großen Pop-Geste trägt daran wohl die Schuld. Bei den Raconteurs wird das Pathetische durch einen Whiteschen Ausfallschritt ins Breitbeinige oder Exzentrische ausgeglichen, den Benson gar nicht erst probiert, da "Dear Life" trotz neuer Ansätze im gehabten 60er-Pop-Rock-Folk-Soundkosmos verharrt. "Dear Life" ist keine 180-Grad-Wende.

Das heißt aber nicht, dass das Songwriting an sich schlechter geworden wäre. Bensons Stärke bleiben griffige, direkte und in sich schlüssige Songs. Auf "Dear Life" erweitert er dafür zwar nicht seinen Sound, wohl aber die Herangehensweisen und Stilmittel. Von der Akustikgitarre und dem Na-Na-Na von "I Quit" über das in den Harmonien an die Allman Brothers erinnernde "Baby Eyes", dem Country von "Dear Life" und das mit Bluesrock-Riffs aufwartende "Evil Eyes" kommt keine Langeweile auf. Die bereits angesprochene, für Benson neue und insgesamt sparsam dosierte Verwendung von Synths gibt zusätzlich Tiefe. Benson nutzt sie bei "Good To Be Alive" bemerkenswert souverän, um seinem geradlinigem Songwriting neue Schichten und Brüche zuzufügen, die ihm selbst auf seinem bisherigen Meisterstück "Lapalco" so nicht gelangen.

Leider bleiben Bass und Drums zu oft nur begleitende Rhythmussektion und reizen ihr Potenzial im meist hervorragenden Soundgefüge nicht aus. Schon in den 90ern musste mancher Musiker die Erfahrung machen, dass einen Drumcomputer rudimentär bedienen zu können, noch längst nicht garantiert, den durchaus möglichen Zugewinn im Sound aus diesem Instrument herauszukitzeln. Die Qualität des sphärischen Rausschmeißers "Who's Gonna Love You?" und des durch Backvocals und beißendem Piano drängenden Openers "I Can If You Want Me To" erreichen nur wenige andere Musiker; diese Stärke, wo es darauf ankommt, hebt die Scheibe trotz ihrer Fehler deutlich über Durchschnittsware. "Dear Life" zeigt, dass mit Benson wieder zu rechnen ist.

Trackliste

  1. 1. I Can If You Want Me To
  2. 2. Good To Be Alive
  3. 3. Half A Boy (Half A Man)
  4. 4. Richest Man Alive
  5. 5. Dear Life
  6. 6. Baby's Eyes
  7. 7. Freak Out
  8. 8. Evil Eyes
  9. 9. I'm In Love
  10. 10. I Quit
  11. 11. Who's Gonna Love You

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