laut.de-Kritik

Hipster-Raps Kronprinzen am Ende der Ironie.

Review von

Hip Hops Boyband schlägt innerhalb von zwei Jahren nun zum fünften Mal zu. Für Brockhampton eine holprige Zeit: Für eine Gruppe mit so viel Ambition und doch so wenig Konzept sind einige verheißungsvolle Veränderungen in Kraft getreten. Während "Iridescence" ein beachtlicher, wenn auch bisweilen stolpernder Versuch der Bekräftigung aller Ideale ist, markiert "Ginger" den endgültigen Verfall zum postmodernen Teenagerfilm.

Es ist gar nicht so einfach, festzuhalten, wofür Brockhampton eingangs überhaupt standen. Man könnte sogar das Argument anführen, das Erfolgsrezept der weithin respektierten "Saturation"-Trilogie seien schlicht ein paar eingängige Banger mit unbändiger Attitüde und guter Promotion gewesen. Doch es steckt in der Tat mehr in Brockhampton, die inzwischen so etwas wie die Kronprinzen des Hipster-Raps darstellen.

"Ginger" lässt sich nämlich vor allem als Rekonstruktion verstehen, als Suche nach dieser schwindenden Quintessenz, die einst so selbstverständlich schien, dass niemand sie auszusprechen für nötig hielt. "Ginger" zeigt mit melancholischen und gesangslastigen Nummern wie "No Halo" oder "Big Boy" den vollkommen artsy Boyband-Modus, mit vielschichtigen Beatwechseln, die gegen minimalere Produktion angelegt sind. Mit großen Fragen und vagen Antworten und mit einer ganzen Menge persönlichem Biss.

Dieser Biss tritt nirgends deutlicher zutage als auf dem fraglosen Highlight "Dearly Departed", auf dem der abschließende Verse von Dom McLennon ein furioses Finale liefert, einen bitteren Abgesang auf Ameer Vann, das ausgestoßene Mitglied. Doch dieser eine Zwischenfall in der Bandgeschichte dient lediglich als Aufhänger für einen Ausbruch in den Nihilismus, abseits all der schwelenden Fragen.

Damit erreicht das Tape eben auch den Peak eines jeden Teeniefilms: Wo alle Romantik, alle fotogene Melancholie und aller Stussy tragende Zynismus brandet, setzt eine relative Leere ein. "Ginger" verläuft über weite Teile in einer Indirektheit und Ziellosigkeit, die sich im ruhelosen Pacing, im ungleichmäßigen Songwriting und im fragmentierten Gesamtbild manifestiert.

Man merkt, dass dieses Haus viele Bewohner versorgen muss. Irgendwo unter dem Gespann des minimalistischen Instrumentierens, der 2000er-nostalgischen Samples und dem quirligen Sounddesign sind da sechs Mitglieder, die ihre Wünsche an das Album herantragen. Kevin Abstract wollte ein Sommeralbum, man merkt, dass Bearface akustische Balladen und Merlyn Wood griffige Banger auf die Prioritätenliste setzen wollten.

Heraus kommt ein massives Konglomerat an Ideen, das aber vor lauter U-Turns irgendwann beginnt, sich um sich selbst zu drehen. Der religiös angehauchte Splitsong "If You Pray Right" und "Heaven Belongs To You" zum Beispiel vereint ein paar Verses der Brockhampton-Jungs und einen anderen Teil, der komplett vom britischen Durchstarter Slowthai übernommen wird. Durch die Bank klingt es nach mehr Aussage, als tatsächlich geliefert wird.

"Love Me For Life" geht von stummen Emo-Trap in einen JPEGMafia-esken Banger über, doch die Beatwechsel machen die Platte nicht aufregender, sondern nur noch inkohärenter. Immer wieder fragt man sich, was jetzt eigentlich die übergeordenete Richtung dieses Albums sein soll. Es will einem gefühlt mit aller Körperkraft kommunizieren, dass da eine ist. Aber genauso scheint die Gruppe selbst mit aller Körperkraft das vereinende Konzept zu suchen, das sie bislang so selbstbewusst ausgestrahlt hat.

Schlussendlich ist es ja auch noch da. Auf manch einem Highlight wie "No Halo", "Dearly Departed" oder dem groovigen "Boy Bye" sprüht der Brockhampton-Esprit so arglos wie je zuvor. Dennoch hat das Hören von "Ginger" etwas Frustrierendes. Ein Gefühl von tausend Fragen im Raum, die durch hundert Köpfe gehen, in ein Dutzend Songs kanalisiert werden und am Ende mit keinem Ergebnis aufwarten.

Ironischerweise bilden Brockhampton damit genau das Wasser in der Mühle ab, das auch das Leben der Twentysomethings in einer Leistungsgesellschaft so treffend charakterisiert. Doch irgendwie steht der Eindruck im Raum, dass sie an diesem Punkt ihrer Karriere schon mit der Ironie abgeschlossen haben.

Trackliste

  1. 1. No Halo
  2. 2. Sugar
  3. 3. Boy Bye
  4. 4. Heaven Belongs To You
  5. 5. St. Percy
  6. 6. If You Pray Right
  7. 7. Dearly Departed
  8. 8. I Been Born Again
  9. 9. Ginger
  10. 10. Big Boy
  11. 11. Love Me For Life
  12. 12. Victor Roberts

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