laut.de-Kritik
Mitten durch den Sturm.
Review von Manuel BergerGanz zu Anfang geben Brutus einen flüchtigen Eindruck davon, wie der Zustand, nach dem sie auf ihrem dritten Album streben, klingen könnte: Ruhe. Das Schlagzeug schweigt, Stefanie Mannaerts in Hall getauchte Stimme schwebt über meditativen Synths. Alle Last und Anstrengung scheint abgefallen. Ist das "Unison Life" – Leben im Einklang?
Es bleibt bei der kurzen Annäherung. Schon in der zweiten Hälfte des Openers verdunkeln dräuende Gitarren das Bild und es wird klar: Um zu der angedeuteten Idee von Ausgleich zu kommen, gilt es zunächst, jede Menge Scheiße zu überwinden. Brutus ziehen mitten hinein in den Strudel, dem sie eigentlich entfliehen wollen. Jeder der folgenden Songs fühlt sich an wie das letzte verzweifelte Aufbäumen vor dem Erlöschen.
"Unison Life" verkörpert, was schon die beiden Vorgänger "Burst" und "Nest" so großartig machte und hievt es aufs nächste Level. Frustration, Wut, Erschöpfung, Furcht und Schmerz rotieren in einem Sturm aus Hardcore, Post Rock und Indie. Die Band transportiert das mit unbändiger Wucht, bei der aber stets auch hörbar Anstrengung mitschwingt – gerade der so entstehende Eindruck von Unperfektion macht das Ergebnis so intensiv.
Die Produktion von Jesse Gander, der auch schon die beiden Vorgänger verantwortete, klingt dabei ausgefeilter denn je. Trotz relativ sparsamer Instrumentierung (Brutus machen keinen Hehl daraus, dass sie nur zu dritt agieren) entsteht ein toller räumlicher Klang – was auch an der Sogwirkung von Mannaerts Vocals liegt. Um deren Hooks kreisen die anderen Instrumente, wirbeln wild umher, hüllen wohlig warm ein oder spucken die Hörer:innen schwer riffend wieder aus. Nahtlos gehen bei "Chainlife" dramatische Post Rock-Crescendi, full-on-Metal-Breakdowns und schließlich dreamy Interludes ineinander über. Stijn Vanhoegaerdens Gitarren ergießen sich in kraftvollen Wellen über den Hörer, Peter Mulders am Bass packt immer wieder mit knorrigen, rhythmischen Lines, etwa in "Dust" und "Liar".
"Liar" ist zudem ein gutes Beispiel für die geschickten Arrangements auf "Unison Life". Die erste Hälfte des Songs bestreiten Brutus genau an der Grenze zwischen aufgewühltem Post Hardcore und Pop Punk, halten dann inne für eine schwebende, nur von Mark Trees instrumentierten Freifläche, in die die titelgebende Kernzeile des Stücks weht, bevor sie mit einem hüpfenden Indie-Riff das letzte Drittel einläuten. In knapp dreieinhalb Minuten führen die Belgier:innen hier durch ihren Klangkosmos.
Man könnte noch weitere Songs hervorheben. Die von Mannaerts mit dunkler Stimme vorgetragene Halbballade "What Have We Done" etwa, oder den tänzelnden Ohrwurm "Victoria", oder das fast siebenminütige Gewitter "Desert Rain". Am eindrücklichsten ist "Unison Life" wohl ohnehin dann, wenn man den Brocken als Ganzen verschlingt. Es mögen kräftezehrende 43 Minuten sein, aber solche, an die man sich erinnert. Und vielleicht rückt danach ja sogar die eigene Idee von Ruhe etwas näher.
5 Kommentare
Meine Entdeckung des Jahres.
Danke Molten!
Hatte schon die Hoffnung verloren das noch ne Rezension kommt.
Geile Scheibe.Freue mich schon auf das Konzert im März.
Gefällt mir sehr, danke….
Kannte ich ned, find ich klasse. Werd auch mal in die anderen Scheiben reinhören.
Nach 15 Monaten für mich immer noch Album des Jahres 2022 bis vermutlich 2027!