laut.de-Kritik
Die Magie von Fleetwood Mac fehlt noch.
Review von Sven KabelitzBeim Cover des 1973 erschienenen Debütalbums "Buckingham Nicks" von Stevie Nicks und Lindsey Buckingham könnte man fast schmunzeln, wenn die Geschichte dahinter nicht so unangenehm und das Bild eine freie Entscheidung beider Musiker:innen gewesen wäre. Schon in diesem Foto liegt die ganze kommende Geschichte der beiden verborgen: Liebe und Ehrgeiz, Machtkämpfe und Verletzungen, aber auch Unterdrückung. Das Cover wird so zum Sinnbild der schwierigen Beziehung zwischen Nicks und Buckingham, in der Leidenschaft und Schmerz untrennbar miteinander verwoben waren.
Zum Zeitpunkt des Shootings waren die Aufnahmen für das Album längst abgeschlossen. Nicks hatte sich für das Shooting eine schöne, weiße Bluse gekauft. Doch Fotograf Jimmy Wachtel hatte andere Plane, bestand darauf, dass sich beide oben ohne zeigten. "Ich habe geweint, als wir das Foto machten", erinnert sich Nicks später. "Und Lindsey war wütend auf mich. Er sagte: 'Weißt du, du benimmst dich einfach wie ein Kind. Das ist Kunst'. Und ich erwiderte: 'Das ist keine Kunst. Ich mache hier ein Nacktfoto mit dir, und das gefällt mir nicht.' Ich dachte nur: Wer bist du? Kennst du mich nicht? Ich konnte kaum atmen. Aber ich tat es, weil ich mich wie eine Ratte in der Falle fühlte."
Patriarchalisch stellte sich Buckingham auf die Seite des Fotografen und der Erwartungshaltung der Industrie. Nicks hingegen blieb mit ihrem Widerstand allein. Ihre Emotionen wurden nicht ernst genommen, ihre Grenzen systematisch ignoriert.
Fast schon löblich, dass dieses Album floppte und über Jahrzehnte hinweg keine Neuauflage erfuhr. Doch das Schicksal führte das Pärchen in die Arme von Mick Fleetwoods Band Fleetwood Mac. Diese befand sich zu diesem Zeitpunkt mit dem Release von "Penguin" nach dem Rauswurf von Danny Kirwan mal wieder in einer ihrer vielen suchenden Phasen. Mitten in der Bob-Welch-Ära stießen Gitarrist Bob Weston und Sänger Dave Walker hinzu. Letzterer verschwand jedoch bereits mit dem noch im selben Jahr erschienenen Album "Mystery to Me".
Eine Bandgeschichte voller Figuren, Wendungen und Neubesetzungen, die über diese Jahre über beinahe so viele Figuren wie Tolstois "Krieg und Frieden" verfügte. Erst 1975 sollte sich das erfolgreichste Line-up formieren: Mick Fleetwood, Christine und John McVie, dazu Stevie Nicks und Lindsey Buckingham. Von da an begann einer der wildesten, exzessivsten und zugleich kreativsten Ritte der Musikgeschichte, in dessen Mitte der Meilenstein "Rumours" steht.
An diesem Punkt der Geschichte befinden wir uns auf "Buckingham Nicks" aber noch lange nicht. erhascht einen Plattenvertrag bei Polydor, der aber nach dem niederschmetternden Misserfolg dieses Longplayer schon wieder passé war. In Los Angeles entsteht mit Unterstützung von Waddy Wachtel (Gitarre), Jim Keltner (Drums), Jerry Scheff (Bass) und weiteren Musiker:innen ein Album, das zwar durchaus angenehm klingt, aber ebenso etwas ziellos vor sich hin trappelt. Wie auch später besticht Buckinghams versiertes Gitarrenspiel, lebt der Gesang von dem Kontrast seiner klaren Stimme und Nicks' rauer, ins Mystische driftender Klangfarbe. Beim Songwriting erreichen sie jedoch noch lange nicht die Klasse der kommenden Jahre.
Der Opener "Crying In The Night" deutet bereits die Richtung an, in die sich das Duo entwickeln sollte, auch wenn dem Arrangement ohne die späteren Fleetwood Mac-Kolleg:innen eine Dimension fehlt. Fast wie eine frühe Demoversion späterer Hits vermittelt Nicks' Melodie eine unaufdringliche Eleganz und wirkt wie ein leises Versprechen auf das, was noch kommt. Die große Magie fehlt zwar noch, aber es gibt deutliche Hinweise, wohin die Reise geht. Das folgende Instrumental "Stephanie" zeigt bereits Buckinghams so bemerkenswertes Fingerpicking, bleibt aber ebenso wie "Django" nur Füllmaterial und Skizze. "Without A Leg To Stand On" erinnert hingegen an Cat Stevens.
Den Höhepunkt bildet das epische Finale "Frozen Love", das Mick Fleetwood auf Nicks und Buckingham aufmerksam machte. Über sieben abwechslungsreiche Minuten lang, die den restlichen Longplayer deutlich überstrahlen. Der Song entfaltet ein Zusammenspiel aus perfekt aufeinander abgestimmten Stimmen, wechselnden Tempi und einem guten Gitarrensolo. Eine frühe Vorschau auf das, was später Tracks wie "The Chain" auszeichnen sollte.
Trotz dieses Highlights bleibt "Buckingham Nicks" über weite Strecken unfertig. In allen Ecken hört man das Talent der beiden Künstler:innen, doch der letzte Funke fehlt noch. Die Wiederveröffentlichung wird so vor allem zu einem historischen Dokument, das zeigt, wie sehr sich Stevie Nicks und Lindsey Buckingham in den folgenden Jahren weiterentwickelten. Aus dieser Saat entstehen nur wenige Jahre später Klassiker wie "Rhiannon", "Landslide" und "Go Your Own Way".
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