laut.de-Kritik

Saustark und so schön.

Review von

Etwas Schönes erschaffen zu können, das ist schon eine Nummer. Eine gute Hardcore-Band zum Beispiel muss man auch erst mal finden. Doch mit genügend Wut im Bauch ist eine gute, hässliche, zornige EP schon drin. Aber 'schöne' Musik? Und ich meine natürlich, schön UND nicht scheiße?

Die Annett Louisans dieser Welt machen nämlich liebliche Musik, nicht schöne, und wer Wein mag, weiß, dass lieblich die zurückgebliebene Schwester von widerlich ist. Nick Cave macht manchmal schöne Musik, meistens macht er aber erhabene. Grizzly Bear ist eine Band, die schon seit einer ganzen Weile schöne Musik macht. Und Buntspecht sind die hiesigen Grizzly Bear.

Das zeigen sie eindrucksvoll mit dem genau so sympathisch wie behämmernd benannten "An Das Gestern, Das Nie Morgen Wurden Darfte. Ich Warte". Bei jeder anderen Band würde man bei dem Titel an eine verlorene Wette mit einem TITANIC-Redakteur denken. Oder an eine Prätention, die fast schon kapriziös wäre. Buntspecht sind aber ganz ehrliche Typen, die in die Tiefe gehen wollen.

Die Österreicher waren schon immer gut, und ihr Hit "Unter Den Masken" völlig zurecht ziemlich erfolgreich, aber so gut wie hier waren sie noch nicht. Die zweite Single "Schlauer Fisch" ist so dermaßen unverschämt souverän und gleichzeitig Kunstlied und völlig organisch, dass es einem den Atem verschlägt. Dominiert von einer gezupften Gitarre und kaum mehr als zweieinhalb Minuten lang, ist das objektiv ein recht konventionell aufgebauter Pop-Folk-Song, bei dem Bass und Streicher an den erwartbaren Momenten auftauchen.

Aber zum einen sind Lukas Kleins Sprachbilder von einer Virtuosität, die einen in seinen Gedankenstrom einsaugt: "Und ihr habt uns hier reingesetzt, in diese Suppe/ und ihr werft all die Angelhaken aus", "Ich steig ins Wasser/ wie in einen Zug / Ich bin mit dem Schaffner/ längst schon – per du".

Buntspecht praktizieren nach wie vor das abstrakte Storytelling, sie spinnen weniger Geschichten, als mit lyrischem Ich und Du emotionale Nähe und Reisen zu malen, die nicht immer greifbar sind, aber immer eine bestimmte Stimmung evozieren. In diesem Fall ist es die Flucht vor dem Du, die Rückkehr in ein vertrautes Element mit Verbündeten (dem Schaffner). Dass Klein eine besondere Stimme hat, ist ebenfalls bekannt: Wer Theatralik auf den Tod nicht ausstehen kann, der wird mit der Hausband des Wiener Rabenhof-Theaters Probleme bekommen – Unrecht hat er aber auch.

Zum anderen, wir sind immer noch bei "Schlauer Fisch", ist die Musik zwar konservativ orientiert, es sitzt aber alles so passgenau, das aus Handwerk Kunst wird. Kein Tusch zu viel, kein Streicher an falscher Stelle – den Abgang des Cellisten Lukas Chytka bemerkt man nicht – alles aus einem Guss. Viele Bands sind demokratisch organisiert und viele nehmen in Sessions auf und noch mehr gehen in Klausur für Aufnahmen, aber selten hört man das so sehr wie hier.

Buntspechts Musik wird manchmal als Kammermusik fehlcharakterisiert, was insofern nachvollziehbar ist, als dass die einzelnen Elemente so genau zusammenpassen. Die Musik bleibt trotzdem, vielleicht sogar noch mehr als bei früheren Alben, Pop mit Folk-Elementen und einem Hang zum Kunstlied. Letzteres schlägt vor allem beim Opener "Hollywood Drama" durch, der gleich zwei falsche Fährten legt.

Erstens ist er bis auf das furiose Finale lediglich ziemlich gut, und zweitens kommt danach gar nicht mehr so viel Theater und Drama. Die falsche Spur führt weiter, denn der zweite Song "Alles Bricht (Lächerlich)" ist aufgrund seiner vielen Bläser überladen und im Refrain etwas stupide. Das gilt auch ein Stück weit für die wirklich schmissige erste Single "Mojo Risin". Zunächst steckt sie so an, dass man meint, einen Grower mit Tiefgang vor sich zu haben, es bleibt jedoch beim sehr ordentlichen Popsong.

Während Klein fürs Drama und für das Feine zuständig ist, ist der zweite Sänger und Trompeter Florentin Scheicher der Mann für den konventionelleren Kontrast, dem jedoch Gefühl keinesfalls abgeht. Das zeigt er auf "Funny Faces", das sich, nachdem "Schlauer Fisch" die Missverständnisse der ersten beiden Tracks und der ersten Single klärte, unter kräftiger Mithilfe des Bassisten Jakob Lang zu einem der besten Songs der Band aufschwingt.

Bedrohlich beschwört Scheicher das verletzte Tier in uns allen. Selten machten Buntspecht so viel Sinn wie auf "Funny Faces", das Saxofonist Roman Geßler veredelt, bevor Klein dem Kollegen Spechtl nachahmt, wenngleich in besserem Englisch. So unaufgeregt schön zu sein, das muss man erst mal schaffen.

"Oh Boy" beginnt die (noch) stärkere zweite Hälfte von "An Das Gestern, Das Nie Morgen Wurden Darfte. Ich Warte". Musikalisch der ausgefallenste Song des Albums, baut sich zunächst eineinhalb Minuten eine flirrende Stimmung auf, mitsamt tollem Gitarrensolo von Klein, bevor sich der Sand wieder setzt und die Wiener einem versichern: "Du hast die Stiefel jetzt schon lange durch den Dreck gezogen." Eine Ode ans Aufgeben, ans Verweigern des Tagewerks, mit Schifferklavier, alles wunderbar windschief und wogend wie ein alter Seelenverkäufer.

Die "Intergalactic Mansion" gerät eher zur Fingerübung und mäandert trotz feiner Ideen vor lauter Streichereinsatz etwas zu ziellos. Das Albumhighlight "Blüte" macht das mehr als wett: Lang gebührt ein Extralob, genauso Klein, der den Song um den Bass herumtänzelnd wie ein Anzughosenträger um Pfützen vorantreibt und dabei wunderschönen Quatsch singt. Treibend und nie überladen findet alles seinen Platz.

Das ist ziemlich nah an dem dran, wie man sich diese tolle Band immer gewünscht hat. Das gilt ebenso für den treibenden Folk-Song "Die Hunde Bellen", in dem es Scheier und Klein mustergültig gelingt, Sehnen und Hoffen im Zwiegespräch einzufangen. Überhaupt wird es immer herausragend, wenn es gelingt, Geßler prominent und organisch einzubinden.

Es folgt der dritte saustarke Track am Stück: "Erdgeschoss (Blumen Im Haar)". Ein ganz feiner Song, der sich aber beim mehrfachen Durchhören als emotionaler Ankerpunkt des ganzen Albums herausstellt. Der Track fühlt sich viel länger an als seine dreieinhalb Minuten Spielzeit und besticht mit Komplexität.

"Majorelika" beschließt "An Das Gestern, Das Nie Morgen Wurden Darfte. Ich Warte", das nie schlechter ist als gut, aber an einigen Stellen und vor allem in der zweiten Hälfte herausragend ausfällt. Dazu gehört der Closer, der textlich offenste Song, in dem die Liebe und der Schmerz von Klein förmlich greifbar wird. Einer der besten Songs der Bandgeschichte: "Ich bin geboren, ohne die Fähigkeit zu gebären". Das stimmt so nicht, denn für dieses Album brauchte es massig Genius.

Trackliste

  1. 1. Hollywood Drama
  2. 2. Alles bricht (Lächerlich)
  3. 3. Schlauer Fisch
  4. 4. Funny Faces
  5. 5. Mojo Risin’
  6. 6. Oh Boy
  7. 7. Intergalactic Mansion
  8. 8. Blüte
  9. 9. Die Hunde bellen
  10. 10. Erdgeschoß (Blumen im Haar)
  11. 11. Majorelika

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Buntspecht

Das Quatschlevel der Website von Buntspecht ist beachtlich. Zwei, drei unbedarfte Klicks und die Welt gewinnt deutlich an Farbe - und verliert mindestens …

1 Kommentar