laut.de-Kritik
ChatGPT, schreib mir eine Ballade.
Review von Janne StoltzeSeit seiner Coverversion von Robyns "Dancing On My Own" ist Calum Scott als emotionaler Nordmann international bekannt. Diesem Image bleibt der britische Popsänger auch auf seinem neuen Album "Avenoir" treu. Liebe, Verlust, Identitätsfindung sind die großen Themen der LP.
"'Avenoir' beschreibt, wie wir uns wie ein Ruderer durchs Leben bewegen: immer vorwärts, aber mit Blick zurück, sehend, wo wir waren, aber nicht, wohin wir gehen", erklärt Calum seine künstlerische Metaphorik. Emotionalen Tiefgang transportieren allerdings nur seine Vocals. Scotts ausdrucksstarke, warme Stimme ist fraglos das sichere Fundament seiner Musik. Aber mit Wänden aus Pappe lädt kein Haus zum Verweilen ein.
Schon die Songtitel verraten die Stimmung des Albums: "My World", "Die For You" und "Lose Myself" sind genau die Titel, die man sich auf einer kitschigen Balladen-LP vorstellt. Die Lyrics bestätigen diesen Eindruck. Jeder Track erinnert inhaltlich an eine dieser Sprüche-Postkarten, die am Kühlschrank von Tante Helga hängen. Einfache Wortwahl, schwere Theatralik, wie von KI erstellte Musik. "Avenoir" bietet eine große Songauswahl für all diejenigen, die noch Songs für eine Hochzeit (oder Beerdigung) suchen.
Fairerweise müssen auch die Gute-Laune-Songs erwähnt werden: Bei "Peripheral Vision" nickt der Kopf schon mal mit. Und auch lyrisch ist der Track erfrischend anspruchsvoll. Schon den Songtitel dürfte nicht jeder spontan übersetzen können. "Unsteady" bringt einen leichtfüßigen Beat mit, den sanfte Vocals im Refrain ergänzen. Scott singt vom gemeinsamen Instabilsein und dem Trost der sich darin findet, mit dem Gefühlschaos nicht allein zu sein. Damit berührt der Sänger musikalisch mehr als mit den melodramatischen Trauerballaden.
Album-Höhepunkt ist der Song "Avenoir" - ein Instrumental. Hart aber wahr: Das Pianostück vermittelt die emotionale Intensität, an der es Scotts Texten oft mangelt. Ein gutgewählter Übergang zum intimen Albumende, das gleichzeitig als Hommage an Whitney Houston fungiert.
Dass er ein guter Coverartist ist, hat der Brite bereits bewiesen. Nun begleitet er auf "I Wanna Dance With Somebody" die Originalstimme der verstorbenen US-Musikikone, und zollt Whitney damit Tribut. Höflich lässt er ihr beim Gesang den Vortritt - immerhin sei es auch ihr Song, so Scott. Die Stimmen der beiden harmonieren wie Zimt und Zucker. Den Gesamteindruck hellt der Song nur unwesentlich auf. Wer auf einfaches Songwriting und klassische Piano-Balladen steht, dürfte sich von Calum Scott angesprochen fühlen. Alle anderen könnten unfreiwillig auf einen der Tracks stoßen, wenn im Kinosaal mal wieder das dramatische Ende einer Romanze aufzieht.


 
					 
				 
				 
				 
				 
				 
				 
				 
				 
				 
				 
		
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