laut.de-Kritik
"Bitte alle Flaschen im Backstage lassen." Huar!
Review von Michael Schuh"Bitte alle Flaschen im Backstage lassen. Danke!", steht es auf dem Weg zur Bühne im Flur der Dresdner Reithalle geschrieben. Camouflage sind damit natürlich nicht gemeint. Der Laden ist gerammelt voll und sähe man den Jungs ihr Alter nicht langsam an, könnte man annehmen, die Band spiele noch immer eine gewichtige Rolle in den deutschen Charts.
Dazu erklingen ihre 80er-Hits "The Great Commandment" oder "Love Is A Shield" in porentief reinem, wenn auch deutlich upgedatetem Soundgewand. Und doch: Die Zeiten der TV-Bandspecials (SWR "Bitte Umblättern", auf DVD2) sind lange vorbei. Was die sächsische Meute an hartgesottenen Fans nicht daran stört, ihre Synthie Pop-Idole kräftig abzufeiern.
In "Relocated"- oder wahlweise Shirts der artverwandten Bands Mesh und Depeche Mode stehen sie im Publikum und singen beinahe jede Zeile mit - auch die der Nicht-Singles. Dieses Phänomen ist in Ostdeutschland, was elektronische Musik angeht, seit jeher ausgeprägter als in anderen deutschen Gegenden, weshalb auch die einstigen Stuttgarter ihr Heimspiel nach Dresden verlegten.
Wer Camouflage noch nie live gesehen hat, wundert sich eventuell über das Level, das ihre Show mittlerweile angenommen hat. Mit Gitarrist Volker Henkel von Fool's Garden und Drummer Jochen Schmalbach geht man seit Jahren einen Schritt weg von gleichförmigen Elektroshows und bringt dann und wann die nötige (auch visuell geschmackvolle) Abwechslung in die Live-Versionen.
Vor allem Sänger Marcus Meyn scheint dies zu gefallen, wenn er etwa zum Percussion-Teil von "Perfect" ins Headbangen übergeht. Überhaupt tut Meyn alles, um nicht dem typischen Elektropop-Klischee des kerzengerade das Mikro umklammernden Sängers zu entsprechen. Er wirft den Kopf nach hinten, legt den Mikroständer übers Knie, animiert das Publikum und manchmal dreht er sogar Pirouetten, wie es selbst das alte Idol Dave Gahan heute nicht mehr hinbekommt.
Schaut man sich das Konzert der Gruppe eine Weile an, bleibt unklar, warum sie nicht im ganzen Land mit der Euphoriewelle der sächsischen Zuschauer empfangen werden. Zumal ihre letzten Studioalben qualitativ mindestens auf dem Level ihrer frühen Werke rangieren.
Den Jungs scheints egal zu sein: Denn wenn es etwa in Süddeutschland nicht so klappt mit der Begeisterung, reist man eben nach Südamerika oder gleich nach Russland, was in letzterem Fall mit einem einstündigen Special festgehalten wurde. Hier weiß man gar nicht, was einen zuerst wundern soll, die teilweise erschreckenden, technischen Rahmenbedingungen oder die Ekstase des Russenmobs.
Sympathisch kam das Trio Meyn, Heiko Maile und Oliver Kreyssig schon immer rüber, was hier nochmal anhand der üppig gefüllten zweiten DVD mit allen 17 Videoclips ihrer Bandkarriere verdeutlicht wird.
Selbst jene Die Hard-Fans, die die Clips schon auf der 2001er Best Of-Scheibe "Rewind" ergattert haben, finden auf "Live In Dresden" noch genügend 'neues' Material vor.
Bislang noch nicht auf DVD erhältlich waren zum Beispiel die herrlichen TV-Auftritte der blutjungen Bietigheimer Buben bei der NDR-Show "Spruchreif", die gleich in dreifacher Ausführung vorhanden sind (1987 bis 1989). Dazu gibts einen fünfminütigen SWR-Bericht, in dem man die Band 1988 nach New York zu Warner Brothers begleitete, nachdem "The Great Commandment" von Platz eins der Billboard Dance Charts herunter lächelte.
1 Kommentar
Ich hab ja eigentlich nicht mehr damit gerechnet das es hier noch eine Review zu Live in Dresden gibt.
Ich find es auf jeden Fall gerechtfertigt da es hoffentlich Camouflage auch ein wenig bei den Leuten promoted die gar nicht wissen das die nachwievor Musik machen.
Dabei machen sie wirklich gute Musik von denen sich manch andere Band des Genres noch einiges abschauen könnte.
Und gerade weil dieses doppel DVD + CD Bundel einen recht guten überblick über die Bandgeschichte liefert ist es für jeden Camou Fan ein muss, und für diejenigen die mal Camouflage mochten ist es mit Sicherheit der richtige Wiedereinstieg.