laut.de-Kritik

Von Gargoyles bis Goethe.

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"Unsere Handwerkskunst: Spitten und Trickbetrug. Diese Crew, die Stimmen des Hinterhofs." Nicht allen Kritikern ging es unmittelbar auf, aber mit ihrem Debütalbum lieferten Celo & Abdi einen veritablen Klassiker des deutschsprachigen beziehungsweise multilingualen Straßenraps ab. Auf dem vierten Album "Diaspora" zimmert das Frankfurter Duo nun den verdienten Thron für die "Erste Dynastie".

"Zu einer Zeit, wo jeder XL-Baggys trug, und alle dachten, PSG sei ein Schnellzug" traten Celo & Abdi an, um die Sprache des Hip Hop im Speziellen und die Jugendsprache im Allgemeinen umzukrempeln: "Fremdsprachen, wir waren die ersten, die damals für Verwirrung sorgten, beim Sprechen wie Azzlackz." Seither kredenzen die beiden eine recht konstante Mixtur aus Räuberpistolen, die sie als sprachliches Potpourri vortragen und um Fußball- und Cartoon-Referenzen ergänzen.

"Wir starten vom goldenen Tal, umgeben von Bergen und Wäldern, mit Arbeitsvisum Richtung Industrieländer des Westens." "Diaspora", der inhaltsreichste Song des Albums, schildert die Auswanderungsgeschichte der Familien des Duos. Obwohl selbst hierzulande geboren, zeigt Abdi in der Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit eine fast schüchterne Unsicherheit: "Auf die Frage, ob ich Deutscher bin, kann ich nur sagen, dass ich in jedem Falle gerne in Deutschland bin." Celo unterstreicht unterdessen seine Zufriedenheit darüber, in Deutschland zu leben, und bestellt mit einem Zitat aus dem Osterspaziergang aus Goethes "Faust" freundliche Grüße an die Hochkultur: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein."

Abdi bleibt es immer wieder vorbehalten, für die leichten Momente zu sorgen: "Also, vergesst ja nicht, ihr Fotzen fuckt ab wie Team Rocket. Miauz, genau!" Mit derartigen Zeilen, etwa aus der Welt des Zeichentricks, bricht er immer wieder die Ernsthaftigkeit auf und gibt sich dabei selbstironisch, ohne plump albern zu wirken. So bekommen auch größenwahnsinnige Kleindealer galanten Spott ab: "Komisch, Dicker, nach der ersten Staffel 'Narcos', du Depp, bittest du deine Kunden, dich Pablo zu nennen."

Nicht jeder Gastrapper fügt sich umstandslos in das lockere Celo-&-Abdi-Konzept ein. Capital Bra harmoniert mit seinem verbissenen Vortrag nicht mit der Leichtigkeit des Duos. Seine griesgrämigen Verse kommen mit freundlicher Unterstützung von Godwin's Law daher: "Du wirst gefickt so wie Schlampen im Hotel. Ich mein', wie Schlampen im Bordell. Wer will Beef? Ich hab' Panzer wie Rommel. Haltet Brate immer die Trommel." Dagegen gibt Nimo auf "Rhythm N' Flouz" mit einer unverkennbaren Freude an seinem Job den optimalen Sänger einer deutschen Chris Brown/Ty Dolla Sign-Adaption ab.

Gemeinsam mit Hanybal ziehen die drei "Gargoyles" unheilvoll durch die Nacht, denn "unter der Mondsichel geschieht nur Fatales." Während sich Celo seinen Assoziationsketten hingibt ("Makaber, keine Verschwörungstheorien, Machtkämpfe, Schachbrett, Nocturne, c'est la vie."), stellt Abdi unter Beweis, sich besonders aufmerksam "GoodFellas" angesehen zu haben: "Bist du blöd oder hattet ihr damals keinen Videorecorder? Wenn das Business floriert, postet man auf Instagram keine Videos im Porsche. Selbst Händler, die klein sind, wissen nach so Filmen wie 'Menace': Verhältst du dich nicht unauffällig, völlig, dann wirds dir zum Verhängnis."

Jimmy Torrio unterlegt "Mondsichel" mit einem überragenden Beat, dessen ruhiges Grundgerüst die Stille der nächtlichen Seitengassen spiegelt, während die einsetzenden Bläser die gewalttätigen Ausbrüche symbolisieren. Ansonsten dominieren Trap-Beats, die zum Teil einen trockenen, oldschooligen Charme versprühen ("Prolog", "Immer Noch"), zum Teil aber auch keinen bleibenden Eindruck hinterlassen ("Bis Sich Alles Dreht"). "Freigang" weist mit einem Synthie-Beat, den ein melancholische Piano-Spiel einrahmt, Erfolgspotenzial auf. Soulige, samplebasierte Songs wie "Nur Noch 60 Sekunden" oder "Über Wasser Halten" fehlen leider vollends.

So stellt sich "Diaspora" als Album dar, das zwar nur eine geringe Weiterentwicklung des Duos offenbart, sich aber dennoch auf einem konstant hohen Niveau bewegt. Abdi verabschiedet sich schließlich mit einem kleinen Ausblick in die Zukunft: "Das Gerücht macht sich breit, es ist längst nicht vorbei, vielleicht kommt mal 'MWT 2' - wer weiß?" Nicht nur die Hip Hop-Szene bittet darum.

Trackliste

  1. 1. Prolog
  2. 2. Immer Noch
  3. 3. Mondsichel (mit Hanybal)
  4. 4. Rillé
  5. 5. Schuhkarton
  6. 6. Rhythm N' Flouz (mit Olexesh und Nimo)
  7. 7. Was Machst Du
  8. 8. Diaspora Interlude
  9. 9. Diaspora
  10. 10. Die Erste Dynastie (mit Capo)
  11. 11. Bis Sich Alles Dreht (mit Capital Bra)
  12. 12. Kein Rückwärtsgang (mit LX)
  13. 13. Medizinmann
  14. 14. Freigang
  15. 15. Laid Back (mit Nimo)
  16. 16. Epilog

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15 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Deutschrap, das Genre der Mitläufer. Beats, die man mittlerweile schon drölfmillionenmal gehört hat - schade um Celo & Abdi, die bislang immer überzeugen konnten. Passend zum künstlerischen Untergang das zigfache Wiederholen des Wortes "Schuhkarton" in... nunja, ihr wisst schon in welchem Song, ja ja ja ja ja ja ja!

  • Vor 7 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 7 Jahren

    Habe bisher nur ein paar Tracks gehört, aber die fand ich schon ziemlich cool. Jetzt nicht MWT Niveau oder so, aber hatte im Vorfeld quasi nichts erwartet.

    • Vor 7 Jahren

      "[...] "sieht aus wie Jan Koller in Flodder". :D

    • Vor 7 Jahren

      Weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das aktuelle Album oder dieses verkorkste "Remaster" von MWT beschissener finden soll..

    • Vor 7 Jahren

      Haha, so schlimm? Will mir noch kein Urteil erlauben, aber die vernichtenden Reaktionen hier kann ich bisher nicht ganz nachvzollziehen.

      Auf das "Remaster" hingegen kann ich getrost verzichten, das werde ich mir gar nicht anhören. :D

    • Vor 7 Jahren

      Gut, ich würde mich da eh Hmmm anschließen, weil mir der Stil va für die Beiden einfach nicht zusagt, bzw ihn unpassend finde (Hanybal da mal als feat reingekotzt wirkt da zB einfach besser). Deswegen finde ich es halt einfach beschissen und belasse es dabei ;)

      Bei der Neuaflauge des MWT hat man anscheinend unserem Meurer nen großen Eimer Margaritas mit Meskalin verabreicht, ihm danach erzählt, er seie jetzt der neue Azzlack-Soundesigner und soll da jetzt mal ein paar Regler Schieben und danach alles durch nen Kompressor jagen.

    • Vor 7 Jahren

      "Franzaforta" einer der stärksten Songs wurde alle Magie genommen. Sehr schlechtes Remaster.

  • Vor 7 Jahren

    Schuhkarton, Schuhkarton, Schuhkarton, Schuhkarton! *schäm*

    Bin bei Corvo: Aus Sympathie gerade so noch 2/5, "eine Handvoll brauchbare Songs" reichen mir bei den beiden einfach nicht aus.

    • Vor 7 Jahren

      Gerade dieser Song steht stellvertretend für alles was bei denen aktuell schiefläuft

      Grauenvoll und dass bei all der Erfahrung und Produzentenumfelds so ein unhörbarer Ramsch aufs Album gepackt wird spricht auch Bände für den momentanen Output

  • Vor 7 Jahren

    Puuh. Ich hatte ja nach Rillé und vor allem Rhythm N' Flouz sowie der Ankündigung, dass es Trap wird, mindestens das schlechteste Album des Jahres erwartet :\

    Muss aber sagen, dass mir die Platte wesentlich mehr Spaß macht als z. B. der Vorgänger. Überhaupt ist die Hitdichte viel größer als auf Album 1, 2 und 3. Mid-2000er-Beats scheinen mich irgendwie mehr anzusprechen als der Quatsch, auf dem Fler oder LGoony rappen. Von mir gibt es 4/5 und die bisher größte Überraschung des Jahres.

  • Vor 7 Jahren

    Sehr gutes Album. So kann man sich deutschen Trap sogar geben. Nice Beats, guter Flow.