laut.de-Kritik

Ist Cham das wahre Chamäleon des Rapgames?

Review von

Neulich im Biologieunterricht in der 8c: "Unser heutiges Thema ist das Chamäleon. Wer weiß etwas darüber? Ja, Steffi!" Streber-Steffi: "Also, das Chamäleon lebt in Afrika, auf Madagaskar und auf den Seychellen. Man trifft es auch im Mittelmeergebiet, in Arabien, Indien oder Sri Lanka an. Leider ist es heutzutage in seinem natürlichen Lebensraum gefährdet und fällt daher unter das Washingtoner Artenschutzübereinkommen. Außerdem hat es eine schnelle, bis zu einem Meter lange Zunge.

An deren vorderem Ende befindet sich eine klebrige Verdickung mit einem blattähnlichen Lappen, der beim Beutefang mit der zehnfachen Erdbeschleunigung heraus schnellt. Dabei werden Spitzengeschwindigkeiten von 350 Kilometern pro Stunde erreicht. Eigentlich ist das ja physikalische unmöglich - die Bewegung des Zungenmuskels müsste das Chamäleon zerbersten lassen. Nur dadurch, dass das Tier im Maul bestimmte Proteinfasern aufbereitet, die mehr Energie aufnehmen als jeder andere Muskel im Tierreich, kann die Zunge katapultartig herausschleudern!" "Sehr gut, Steffi!"

Der Rapper Chamillionaire, der seinen Namen einem Chamäleon entliehen hat, scheint genau auf diese Zungenakrobatik aufzubauen. Der einzige, der noch schneller spitten kann, ist Twista, und der steht dafür bekanntlich im Guinness Buch der Rekorde. Außerdem besitzt Cham ein ähnlich "großes Maul" wie das Reptil, das sich damit Feinde vom Leib hält. Mit seinem losen Mundwerk, das der Rapper Anfang 2005 selbst einmal als die "Truth From Texas" bezeichnete, pisst er auf "The Sound Of Revenge" in Slim Shady-Manier erstmal jedem lyrisch ans Bein, der nicht bis drei auf den Bäumen ist.

Da Angriff immer noch die beste Verteidigung ist, gilt sein Rachefeldzug allen Hatern, Paparazzi ("You see my slab, you see my candy slab, picture perfect nigga, you should take a photograph") und sämtlichen respektlosen Menschen, für die Cham folgenden Representertext bereit hält: "Y'all ain't about nothing, Y'all frontin". Für diese Spezies poltern seine Reime selbst noch im Kofferraum daher: "I'ma let it bang, so they can feel it in the (innnn the trunk)". Natürlich macht seine Kanonade auch vor Gangsta-Rappern nicht Halt ("No snitchin'"). Ein Begriff, der spätestens seit dem Beef zwischen Fiddy und The Game nicht mehr aus dem Rapgame wegzudenken ist.

Zum Fixieren der Beute benutzen die Mini-Dinos übrigens ihre kugelförmigen Augen, die unabhängig voneinander bewegt werden können. Diese Fähigkeit führt uns Cham in "Ridin'" vor, dem Sommerhit 2006, gemeinsam mit Krayzie Bone vor: Beide beschreiben in erstklassiger N.W.A-Manier, wie die Polizei sie am liebsten aus dem Verkehr ziehen und mit illegalen Aktivitäten in flagranti erwischen würde. Kein Wunder, dass Chamillionaires Lieblingsalbum "Ridin' And Dirty" (1996) von UGK ist.

Kommen wir zum Sexualverhalten eines Chamäleons: Wenn bei der Brautwerbung ein Männchen einen Artgenossen erblickt, dann beginnt es sofort, als Begrüßung zu nicken. Hat es erkannt, dass es sich um ein Weibchen handelt, bekommt es das schönste Farbenkleid. In "Grown And Sexy" beschreibt Cham sein Liebesleben folgendermaßen: Er wird immer zuerst von einem "Weibchen" angeturnt, doch dann muss er feststellen, dass ihr hinteres Profil doch wesentlich vielversprechender ausgesehen habe: "From ya head down to ya toes ya know you fine (ya know ya fine), Got that perfect face a perfect shape and perfect smile (a perfect smile), But soon as ya turned around (Turned around), There's somethin that I realized (Yeah), You looked better from behind, you looked better from behind".

Die männlichen Chamäleons besitzen wie Echsen und Schlangen übrigens einen so genannten Hemipenis, der eigentlich sogar aus zwei separaten Modellen besteht. Hier kann selbst Chamillionarie wahrscheinlich nicht mehr mitreden. Dass sich ein Chamäleon nach dem Regen gerne in der Sonne aalt findet jedoch wieder eine entsprechende Stelle bei Cham: "Remember, the sunlight always comes after the rain, you should be thankful, everyday should be a celebration of life" (in "The Rain"). Der Track stellt das männliche, aber deswegen nicht weniger gefühlvolle Pendant zu Missy Elliotts "The Rain" vom '97er Debütalbum "Supa Dupa Fly" dar. Unterstützung erhält Cham dabei von Scarface und Billy Cook.

Chamillionaire ist jedenfalls genauso wandlungsfähig wie ein tarnfreudiges Chamäleon. Er hat alle Rollen parat, vom harten Rapper bis zur R'n'B-Schmusekatze. Sollte es mit der Rapkarriere dennoch nicht klappen, was kaum vorstellbar ist, dann bleibt vielleicht noch die Karriere als R'n'B-Sänger, denn er singt wie auch 50 Cent so gut wie jede Hook selbst. Anfangs verwechselte man ihn flowtechisch und optisch noch mit dem New Yorker Bad Boy, doch spätestens seit der Weird Al Yankovic-Persiflage zu "Ridin" ("White'n'Nerdy") weiß eigentlich jeder, wer dieses Chamillionaire-Chamäleon ist. Bleibt nur zu hoffen, das dem Rapper eine längere Lebensdauer als die vier bis sechs Jahre eines Chamäleons beschieden ist. Aber darüber mache ich mir die geringsten Sorgen.

Trackliste

  1. 1. The Sound of Revenge (Intro)
  2. 2. In The Trunk
  3. 3. Turn It Up
  4. 4. Ridin'
  5. 5. No Snitchin'
  6. 6. Southern Takeover
  7. 7. Radio Interruption
  8. 8. Frontin'
  9. 9. Grown and Sexy
  10. 10. Think I'm Crazy
  11. 11. Rain
  12. 12. Picture Perfect
  13. 13. Fly As The Sky
  14. 14. Peepin' Me
  15. 15. Void in My Life
  16. 16. Outro

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31 Kommentare mit 2 Antworten, davon 6 auf Unterseiten

  • Vor 18 Jahren

    Gut? Bin zwar nicht erst durch das Pitchfork-Interview auf den Mann, der haargenau aussieht wie 50 Cent, gestossen, weil mir in den letzten 4 Tagen schon diverse andere Leute gesagt haben, dass der nicht schlecht waere, aber nach "500 Degreez" verging mir so nach und nach die Lust, den Dirty South-Kram weiter zu verfolgen und spaetestens beim Versuch von Outkast, artsy-fartsy zu sein, hat's mich nur noch genervt.

    Ich werde mir in einer halben Stunde das neue Gravenhurst-Album kaufen gehen und wenn ich bis dahin noch keine Antwort erhalten habe, nehme ich auch das von Chamillionaire mit, ohne es gehoert zu haben, ihr wisst dann, wen ich dafuer verantwortlich mache, sollte sich herausstellen, dass das verschwendetes Geld war. :D

  • Vor 18 Jahren

    Gibt's davon in absehbarer Zeit ein Review? Ist naemlich ziemlich klasse und er sieht doch nicht aus wie 50 Cent, lediglich wie dessen aelterer Bruder, hat auch relativ beeindruckende Faehigkeiten etc., also nix Lil' Jon-Scheiss hier, sehr gut.

  • Vor 18 Jahren

    Jetzt habt ihr ploetzlich ein Review, was?