laut.de-Kritik
Großer Coup mit Hilfe von Air und Jarvis Cocker.
Review von Michael SchuhDas Foto verdunkelt, der Blick gesenkt, die Augen verborgen: Das Cover des neuen Albums von Charlotte Gainsbourg spiegelt das öffentliche Bild der französischen Actrice ziemlich exakt wider. Sensibel und schüchtern, so lauten seit jeher die umschreibenden Adjektive der Journaille für das Wesen der Tochter jenes Mannes, der zeitlebens genau ohne diese Eigenschaften auszukommen schien.
Wunderte man sich vor kurzem noch, dass die selbsterklärten Serge Gainsbourg-Fans Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel von Air nicht auf dem gut bestückten Tribute-Sampler an das französische Provokationsgenie in Erscheinung traten, kommt nun Licht ins kompositorische Dunkel. Godin und Dunckel tüftelten nämlich längst im stillen Kämmerlein an Instrumentaltracks, um seiner Tochter Charlotte nach 20 Jahren ein furioses Albumcomeback zu bescheren.
Auftrag ausgeführt: "5:55" ist eine Art morbide "Moon Safari", ein melancholischer Ritt zwischen künstlich erzeugter Wirklichkeit und einer märchenhaften Welt der Fantasie, in der die brüchig, dahingehauchte Stimme Charlottes den elfenhaften Star-Auftritt inne hat. Die Handschrift der Komponisten ist in weiten Teilen spürbar, meisterhaft verwebt das Duo seine zahlreichen Keyboards mit Akustikgitarren, Drumcomputer, Glockenspiel und dem omnipräsenten Piano, während im Falle der Streicher sicherlich auch Produzent Nigel Godrich (Radiohead, Paul McCartney) sein Insiderwissen zur Verfügung gestellt hat.
Entgegen der naheliegenden Vermutung, Charlotte habe alle Texte in ihrer Muttersprache verfasst, finden sich auf dem Album nur zwei Songs in französischer Sprache ein. Als Urheberin fungiert sie allerdings nur ansatzweise. Den Löwenanteil erledigten andere. Denn das für ihre darstellerischen Leistungen längst anerkannte Töchterchen des weltbekannten Chansonniers fühlt sich in der Welt der Musik noch immer ein wenig als Fremdkörper, eine Selbsteinschätzung, die nach der Arbeit mit Jarvis Cocker (Pulp) und Neil Hannon (The Divine Comedy) hoffentlich eine Wendung erfahren hat.
Im Opener "5:55" beschreibt sie die Schwelle zwischen endender Nacht und beginnendem Tag, im beinahe wahnhaften Delirium von "Af607105" verlässt Gainsbourg textlich den festen Boden unter ihren Füßen, den sie in der Folge auch musikalisch nicht mehr verspüren wird. Den in unserer Branche oft händeringend gesuchten Single-Charakter bieten einzig "The Operation" und "The Songs That We Sing" auf, der Rest ergötzt sich an somnambuler Romantik. Ein Album für melancholische Seelen aller Altersklassen, in dem der Klassikfreund gar ein modernes "Nocturne" entdecken könnte. Der aktuelle Film Gainsbourgs heißt übrigens "The Science of Sleep", fürs deutsche Kino übersetzt als "Anleitung zum Träumen".
10 Kommentare
ey, ich war sowas von extrem knapp davor den gleichen thread aufzumachen, kriminell. nach derm ersten mal hören muss ich sagen: gefällt. 4/5 ist angebracht, af607105 und everything i cannot see sind schnieke und naja, man hör den air-anteil schon heraus...
anbei: sollte man sich den vater mal zu gemüte führen? was gibt es den vergleichbares? cohen vielleicht?
@the secrets (« ey, ich war sowas von extrem knapp davor den gleichen thread aufzumachen, kriminell. »):
lol. same here ... hab sogar schon den Text geschrieben, aber hab's dann gelassen resp. mir kam was dazwischen ...
Ich sollt' das Album eigentlich die Tage kriegen ... freu ich mich schon auch besonders drauf, und zwar aus zwei Gründen erst mal... zum einen ist das die Tochter von Serge, zum anderen sollt' "5:55" ja auch sowas wie ein viertes resp. fünftes Air-Album sein ... wichtig ist aber eigentlich hauptsächlich, dass Charlotte Gainsbourg nicht nur eine der besten jüngeren Schauspielerinnen Frankreichs ist, sondern auch eine formidable Sängerin.
Na, mal gucken was nach dem Debüt und dem skandalösen "Lemon Incest" jetzt so kommt.
Und natürlich sollte man sich den Vater mal zu Gemüte führen!
Nicht nur meiner Meinung nach einer der grössten und einflussreichsten Köpfe des letzten Musik-Jahrhunderts ... Tipp: Irgend'ne gute Compilation kaufen/laden, zum Beispiel "De Serge Gainsbourg a Gainsbarre (3CD)" oder auf jeden "Initials S.G." - da gibts so unglaublich viele Songs, die man mal gehört haben sollte!
achso, der gute |e. ist venom. das erklärt natürlich einiges. ja. natürlich. ok.
mensch, die serge-sachen muss ich mir dann wohl auch mal holen, wird ja nicht weniger, nech.
und air findest du jetzt besonders schmalzig? ich denke das kommt von der stimme, dieses schüchterne, zurückhaltende. die kann gar nicht aufdringlig triefend sein. sag ich jetzt einfach mal so.
you're my life, you're my hope
you're the chain, you're the rope
you're my god, you're my hell
you're the sky, you're myself
you're the reason i'm living
you're all that i have to discover
you're the rain, you're the stars
you're so near, you're so far
you're my friend, you're my foe
you're the miles left to go
you are everything i ever wanted
and you are my lover
:!!!: also dieses lied, das ist wirklich mal umwerfend.
habs unterdessen auch schon. Ja, schöne Scheibe. Die hübsche Stimme geht mir aber zeitweilen auf den Wecker (mir?! ), aber ich leide momentan wohl einfach an einer musikalischen Übersättigung. Wär an anderen Tagen definitiv anders.
@the secrets («
:!!!: also dieses lied, das ist wirklich mal umwerfend. »):
Schönes Album ... die ersten paar Titel liegen mir bislang am meisten...