laut.de-Kritik
Tick, Trick und Track-Raps und der Unterpunkt 'Beinrasur'.
Review von Michael SchuhDie alles überschattende Frage im Bezug auf das neue Chicks On Speed-Album muss lauten: Warum denn nicht früher, Mädels? Warum erscheint "99 Cents" erst ein Jahr nach der Single-Veröffentlichung "Fashion Rules", obendrein noch im selben Monat wie das Album der künstlerisch artverwandten Kollegin Peaches, und warum behandelt es schließlich Themen, derer sich im Prinzip "Fashion Rules" bereits hinreichend annahm (versus the system called Mode-Industrie), die also im Herbst 2003 schon leicht anachronistisch daher kommen?
Aber vielleicht bin ich einfach noch immer zu enttäuscht von der zweiten Single "We Don't Play Guitars", in jeder Hinsicht. Knapp vier Minuten lang brüllen die Chicks, dass sie keine Gitarren spielen, behaupten, dass sich ihre Collage aber "wie Rock'n'Roll anfühlt", bevor die angesprochene Peaches dann, klar, ein deftiges Gitarrensolo zimmern darf. Oh mann. Wo bitte ist hier die Überraschung, geschweige denn der ironische Witz geblieben, den man von den Neu-Berlinern seit jeher gewohnt ist?
Munteres Slogan-Bashing auf hohem Niveau geht anders, wie uns ihre letzte Langrille "Will Save Us All" überdeutlich vor Augen und Ohren führte. Hier war tatsächlich alles Gold, was so glänzte. Dass unser liebstes Konzeptionskunst-Trio nicht alles verlernt hat, beweisen sie uns zum Glück auf einigen Album-Tracks. So ist der Opener "Shooting From The Hip" mit hibbeligem Bass ein schönes Beispiel dafür, dass Melissa, Kiki und Alex mit akustischen Instrumenten sehr wohl prima umgehen können (was das Gros der neuen Songs belegt!).
"Sell-Out" zeigt, wie man sich die Chicks On Speed 2003 gewünscht hat: Über vertrackte Beats und intelligente Breaks schreien sie die Message hinaus: "Do it to yourself before it's done to you". Nutze dich selber aus bevor es andere tun. Kommerz sucks. Marketing isn't cool. Folge deinen Instinkten. Ja, noch immer ist pompöser und somit unnützer Luxus den Chicks zutiefst zuwider. In ihrem neuesten Anti-Beauty-Manifest "99 Cents" erfährt er über eher drögen Techno-Beats gar den Stellenwert einer Einkommenssteuer der Eitelkeit. Alles müsste eben billig sein, so der Chicks'sche Apriorismus.
Ein schönes Fad Gadget-Andenken ist ihnen mit "Shick Shaving" feat. Miss Kittin gelungen. Zu Glockenturm-Sample und Märchenmelodie haspelt Kittin gewohnt sweet über das Thema "Lady Shave" (zum Unterpunkt 'Beinrasur' hätte allerdings auch Peaches Einiges zu erzählen gehabt).
Ansonsten schwankt das Album, dessen Producer-Credits goldene Namen wie Gerhard Potuznik, Cristian Vogel, Ramon Bauer und Tobias Neumann listen, zwischen gelungenen Pop-Experimenten ("Culture Vulture", "Coventry") und nerviger Instant-Art.
"Wordy Rappinghood" geht trotz cooler Beats und fetter Gästeliste (Kittin, Inga Humpe, Le Tigre) einfach überhaupt nicht (Tick, Trick und Track-Raps meets Puppetmastaz) und "Universal Pussy" klaut so dermaßen bei Marilyn Manson, dass dieser glatt eine Klage anstrengen könnte. Natürlich über 99 Cent. Das Schlusswort soll mit den besten Grüßen an alle Mode-Schlampen dennoch den Chicks gehören: "Off with their heads is what we say, after Marie Antoinette it's the only way".
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