laut.de-Kritik
Hoch hinaus, mal mit Kran, mal mit Gabelstapler.
Review von Jakob HertlAlles an Chris Stapleton ist Country. Der wilde Vollbart, die langen, krauseligen Haare, bedeckt vom Cowboy-Hut, in den Armen stets eine schöne Western-Gitarre. Geboren und aufgewachsen im ländlichen Lexington, Kentucky zog der Sänger mit 23 Jahren nach Nashville, um seinen Traum einer Country-Karriere zu verwirklichen. Der Durchbruch gelang 2015 mit "Traveller". Knapp acht Jahre später zählt Stapleton zu den angesehensten "Nachwuchs"-Country Artists des Landes. Aber höher hinaus geht immer, und so legte er jetzt mit der neuen Platte "Higher" nach.
Das Album startet mit einem der stärksten Track, "What Am I Gonna Do". Die Gitarren transportieren den nostalgischen Vibe des Songs perfekt, das Solo ab Minute 2:25 ist simpel, aber genial, und nach drei irgendwie unspektakulären, aber doch berührenden Minuten ist man angekommen in Country-Land.
"South Dakota" hält die Balance zwischen einer ruhigen, monotonen Art und doch einem roughen Soundgebilde. Vor allem weckt es aber Assoziationen – sei es an einen klassischen Western oder das Intro von Breaking Bad – die Spaß machen. Was will man mehr von der Musik, als dass sie einen kurz in eine andere Welt katapultiert?
Den starken Start zieht die Platte jedoch nicht ununterbrochen durch. Es folgen einige sehr ruhige Tracks, die maximal ganz nett sind, sonst aber eher so vor sich hinplätschern. "The Fire" weist wenigstens noch ein paar überraschende Bongos auf, der zweiterfolgreichste Song des Albums, "Think I'm In Love With You" enttäuscht auf ganzer Ebene.
Wirklich Country hört man wieder auf dem entspannten "Loving You On My Mind". Vom soften Sound hat man dann aber erst mal genug. Gut, dass mit "White Horse" endlich wieder ein Highlight folgt. Die erste Vorab-Single des Albums hat nicht nur für ordentlich Vorfreude bei seinen Fans gesorgt, sondern Stapleton auch schon zwei Nominierungen bei den bevorstehenden Grammys eingebracht, für die beste Country Solo-Darbietung und den besten Country-Song.
Überraschend wäre es sicher nicht, wenn er im Februar wieder abräumen würde. Acht Grammys hat der 45-Jährige schließlich schon zuhause stehen. Und verdient wäre es allemal – die lässigen Gitarren sorgen nach einer halben Minute nicht nur für eine gelungene Überraschung, sondern schrubben die Chords mit einer Coolness und so in Harmonie mit Stapletons rauer Stimme, dass man eigentlich nur gute Laune bekommen kann.
Auf dem Titeltrack "Higher" kauft man ihm dann auch die sanfte Emotionalität zum ersten Mal richtig ab. Ein Song, in dem man sich ein bisschen verlieren kann – und der vor allem richtig beeindruckend demonstriert, wie gut der Mann wirklich singen kann. Für die hohen Noten im Refrain ziehe ich meinen metaphorischen Cowboy-Hut.
"The Bottom", "The Day I Die" und "Crosswind" bilden einen Dreierblock solider Songs, die zwar keine krassen Höhepunkt sind, sich aber gut durchhören lassen. "Weight Of Your World" kann man getrost unterschlagen, "Mountains Of My Mind" sorgt für einen schönen Abschluss.
Die Texte sind derweil schnell abgefrühstückt: es geht um die gute alte Liebe und nur die. Mal singt er vom gebrochenen Herzen und Trennungsschmerzen, mal ist er sich nicht ganz sicher, mal gesteht er die volle und bedingungslose Liebe. Wie authentisch solche Lyrics sind, wenn sie von einem glücklich verheirateten Mann kommen, darüber lässt sich streiten. Innovativ sind sie nicht – und logischerweise triefen sie auch nur so vor Country-typischen Zeilen wie "Lord this morning, when I woke up/ I wanted that Whiskey in my coffee cup."
Die fehlende Innovation der Texte macht das Musikalische wett. Trotz eines klaren Soundbilds klingt die Platte eben nicht nur typisch nach Country, NPR Music beschrieb recht passend: "Higher puts him where he always really was—in that classic kind of rock and soul, Tom Petty, Eagles, going beyond the confines of the genre."
Country-Fans werden trotzdem auf ihre Kosten kommen. Es ist ein recht klassisches Album, dass phasenweise trotzdem modern und variabel wirkt. An vielen Stellen macht das richtig Spaß, einige Songs gehen aber völlig unter, und so fehlen "Higher" noch mehr Highlights, um auch als Gesamtpaket komplett zu überzeugen.
1 Kommentar
… Überraschend wäre es sicher nicht, wenn er im Februar wieder abräumen würde. Acht Grammys hat der 45-Jährige schließlich schon zuhause stehen. Und verdient wäre es allemal…
… und so fehlen "Higher" noch mehr Highlights, um auch als Gesamtpaket komplett zu überzeugen...
Was denn nun?