laut.de-Kritik
"Eigentlich ist es doch gar nicht so schlecht hier".
Review von Yannik GölzObwohl Clairo bis vor Kurzem noch nicht einmal ein ganzes Album veröffentlicht hatte, drehte sich die öffentliche Meinung über sie bereits ein paar mal. Erst begabter, authentischer Songwriter, dann Industrieprodukt, dann Mittelmaß, dann doch wieder Hoffnungsträger. Für das Genre des Bedroom-Pops ist das eine ganze Menge Diskurs, um mit einem ersten Album zu überzeugen. Mit gut verwendeten Connections in der Produktion besinnt sich Clairo auf ihrem Debut "Immunity" aber dann doch auf die Grundsätze ihres Stils und liefert nicht zu ungewöhnlichen Indie-Sound, der mit beachtlich intimer Atmosphäre und ein paar Highlights aufwartet.
Bedenkt man, dass sie in Sachen Zuhörerschaft und Aufmerksamkeit weit über ihren Artgenossen steht, die ihre Tagebucheinträge tatsächlich noch für ihre zwanzig Soundcloud-Follower einhauchen, ist es beeindruckend, dass sich diese Platte immer noch anfühlt, als würde ein Mittelstufenfreund gerade beichten, auf welchen Klassenkameraden oder welche Klassenkameradin er steht. Clairo beherrscht den Minimalismus und die Reduktion am Text, kommt still, aber nicht unsicher daher und bringt die zu adressierenden Gefühle ohne Schnörkel zum Ausdruck.
Das kann man gut oder schlecht finden, immerhin fehlen andere Songwriter-Clues wie der bissige Humor eines Father John Mistys oder einer Courtney Barnett gänzlich, es gibt auch keine hochtrabende Poesie wie bei einem Mount Eerie oder einer Snail Mail. Clairo bewahrt sich die Persona des Girl Next Doors, ihre Ausdrucksweise bleibt funktional und ihre Gedankengänge sind leicht nachvollziehbar.
Auf Songs wie "North" schlägt das wunderbar an, denn der schlichte Erzählstil über eine verflossene Liebschaft gibt dem Projekt einen unmelodramatischen, konversationshaften Ton, der die dann genannten Details der Beziehung nur umso lebendiger werden lässt. Auch auf "Sinking" umgibt dieser Ton ihre Schilderung einer Krankheit, die für sie ständigen Schmerz in den Knochen bedeutet. Trotzdem bleiben ein paar Songs außerhalb der damit geschaffenen Tiefe, so zum Beispiel die Darstellung eines Suizidversuchs in der achten Klasse auf Opener "Alewife", der so beiläufig daher kommt, dass der emotionale Impact beinahe ausbleibt.
Bei vielen Songs fehlt dementsprechend leider auch etwas Pepp, um nicht in die genretypische Sound-Schwemme zu verfallen. Denn auch, wenn die Produktion über weite Strecken kreativ ist, werden viele musikalische Momente mit etwas wenig Schärfe gespielt und verschwimmen schnell miteinander. Mit Produzent Rostam und Daneille Haim an den Drums hätten die Grooves auf Albenlänge durchaus etwas knackiger ausfallen können.
Wie das klänge, bezeugt der Highlight-Lauf von "Immunity": "Closer To You", "North" und die Lead-Single "Bags", die alle mit spannenden, einschneidenden Produktionsdetails wie Kanye-eskem Autotune oder wunderbar manipulierten Key-Riffs, Geschichten von jungem, queeren Verliebtsein, Ausbrechen aus der Unsicherheit und Ankommen in einer neuen Behaglichkeit bestehen. Besonders "Bags" überzeugt mit einer Atmosphäre aufregender Neugier, mit "Call Me By Your Name"- und Joni Mitchell-Referenz und dem mit Abstand prägnantesten Chorus der Platte.
Ein bisschen fühlt es sich an, als hätte man die intimen Gitarren-Songwriter der 2000er genommen, ihre altbekannten Themen etwas angepasst und nun in jugendlich, queer und abgeklärt in Richtung Frank Ocean gelenkt. An den erinnert Sound und Energie mehr als nur manchmal deutlich, und die Atmosphäre der postironischen Verwundbarkeit grenzt Clairo von anderen Songwritern der Jetztzeit ab. Nichtsdestotrotz steht dieses Konzept sich beizeiten selbst im Weg, wenn die Aura der Reserviertheit und Unterkühltheit musikalische Ideen beschneidet, die zu einem deutlich eingängigeren Album geführt hätten. Das Ergebnis ist immer noch einladend und bestechend ehrlich, wie gut es aber wirklich hätte sein können, zeigen nur wenige Songs.
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