laut.de-Kritik

Nichts für Feiglinge.

Review von

Die letzten Alben der Cold War Kids, allen voran das 2023 erschienene selbstbetitelte Album, sind so haarsträubend langweiliger Mumpitz, dass es wichtig ist, sich vor Augen zu führen, wie spektakulär gut diese Band mal war, und zwar vor allen Dingen auf ihrem Debüt. "Cowards & Robbers" erschien 2006 und war nach zwei starken EPs ein gar nicht so unerwarteter kommerzieller Erfolg, der insbesondere durch damals wie Unkraut sprießende Indie-Blogs befeuert wurde. Die Kritik nahm das Album wohlwollend auf, aber nur wenigen erschloss sich im Kontext der damaligen musikalischen Entwicklungen, welcher Meilenstein den kalifornischen Kindern des Kalten Krieges da gelungen war.

"I kissed the kids at noon / Then stumbled out the room" krächzt Nathan Willett zu Beginn auf "I Used To Vacation", und setzt damit gleich mehrere Duftmarken: Seine Stimme ist ein kaum fassbares Organ, das so demonstrativ ungeeignet scheint für eine Gesangskarriere, dass es eine reine Freude ist. Willett quietscht näselnd gefühlt stets zwei Oktaven zu hoch, bewahrt dabei aber eine schneidende Eigenschaft mit einer Kraft, dass Stahlblech zu Leberkäse wird. Zu allem Überfluss schreibt die Bands die Songs in der damaligen Besetzung ganz klassisch gemeinsam, was wie bei anderen Bands oftmals dazu führt, dass die Songs im Endeffekt fast nur aus Hooks bestehen. Nur schreiben Willett, Jonnie Russell, Matt Maust und Matt Aveiro das zum damaligen Zeitpunkt in einer Meisterschaft, dass Spoon neidisch in der Ecke hocken. Das macht "Cowards & Robbers" nicht nur musikalisch besonders wertvoll, sondern führt dazu, dass Willett seine innere Dramaqueen alle fünfzehn Sekunden auf eine andere Art ausleben darf und die knappe Stunde Spielzeit damit verbringt, wahlweise zu darben, schmachten, kapriziös beleidigt zu tun und auf alle anderen Arten Himmel und Hölle zu beschwören und es nie, aber wirklich nie, drunter macht, als zöge Rufus Wainwright mal an falschen Line und tauschte den Wein gegen Rum. Kurzum: Er macht einen großartigen Job.

Zurück zum Opener: Willetts lyrisches Ich küsst deshalb stolpernd die Kinder, weil er vom alten Dämon Alkohol nicht wegkommt. Alkisongs gibt es wie Sand am Meer (und Alkoholiker), aber schon der Opener ist ein erstes Indiz in der Beweiskette, an deren Ende klar wird, welches emotional packende Großwerk "Cowards & Robbers" ist. Beste Line überhaupt, im selben Song: "Punched the Nichols boy for taking his seat / He gets all that anger from me" und damit ist dann wirklich absolut alles gesagt über den Zoll, den Familien von Alkoholikern zahlen müssen, und das in kaum zwei Versen. Dem Erzähler ist das alles bewusst, und trotzdem muss er sich im Refrain einreden: "This will blow over in time / This will all blow over in time", wissend, dass dem nicht so ist.

Mit wie wenigen Worten Willett unglaubliche Brüche erzeugt und was für eine simple Sprache er dazu benutzt, ist auf jedem einzelnen Song ein Bild von trauriger Schönheit. Auch wenn unklar bleibt, wo der damalige Mittzwanziger diese Trauer eigentlich hernimmt.

Dasselbe gilt für die Coolness, mit der nicht nur Willett sich in jede Zeile schmeißt, als wäre es die letzte, ohne einmal darüber nachzudenken, ob das jetzt übers Ziel hinausgeschossen sein könnte, sondern seine drei Kollegen machen es ihm gleich. Die Hook-Hyperinflation wird besonders sichtbar, weil jede Bridge so zwingend gespielt wird, als hinge alles von ihr ab; jeder Tempowechsel wird ostentativ gespielt, jeder Refrain strahlt völlig anders als die Strophe.

Dazu kommt etwas, was die Cold War Kids im Laufe ihrer Karriere leider schnell verlernten: Der begnadete Drummer Aveiro und Bassist Maust, der neben Willett das einzig verbliebene Bandmitglied der Anfangszeit ist, legen den Boden, auf dem Willett und insbesondere der mit einer Götterhand gesegnete Russell mal um mal entweder Piano-Rhythmen legen wie auf dem Opener, um diese mit jedes einzelne Mal überraschende und perfekt passenden Gitarrensoli abzuwechseln, oder wie auf "Hang Me Up To Dry" unglaublich catchy Melodien entspannen, deren Fröhlichkeit auch fast 20 Jahre nach Erscheinen immer noch auf unnachahmliche Weise mit Willetts lakonischer, aber aufrichtiger, ja fast kindlicher Empörung über die ihm zuteilwerdende Behandlung von dieser Frau konterkariert. Allein die Arbeit der beiden auf dem schlicht perfekten "Hair Down" übersteigt die Lebensleistung der meisten Musiker.

Denn unter anderem auf diesem Song ruft die Band aus ihren Einzelstücken eine Dynamik hervor, die ihresgleichen sucht. Wie Willett am Schluss gegen die Gitarren ansingt, ist so herrlich gewollt konstruiert und doch organisch hingeführt, dass es eine Freude ist. Keinen dieser Songs könnte man sich irgendwie anders vorstellen, man hat stets das Gefühl, hier wird absolut am Anschlag gearbeitet.

Die lediglich guten Kritiken der Band hingen vermutlich auch mit der damaligen Kritik an ihrer christlichen Symbolik zusammen; eine Diskussion, die im Nachhinein sehr 00erig wirkt. Tatsächlich gingen drei der Bandmitglieder auf ein Bibelinstitut, und dass der von der Muse doch so verwöhnte Russell mittlerweile als Pastor und Theologie-Professor vom Team Glauben abgeworben wurde, lässt Willetts damalige Beteuerungen, Cold War Kids seien keine (uncoole) christliche Band, noch weniger glaubhaft erscheinen. Allerdings sind die Westküsten-Jungs von der künstlerisch besten Sorte Christen: der leidenden. "The woman in the kitchen told me that true love it waits / But of all the rules he lives by that's the one that he hates" heißt es auf "Hair Down", und wie immer geht es um Konflikte, die aber wenig abstrakt bleiben und in diesem Song mit schierer Geldnot verbunden sind.

Von den vier ersten Songs sind nicht nur drei perfekt, sondern auch "Tell Me In The Morning" hat Produzent Kevin Augunas, der immer noch, aber viel zu selten und zuletzt für die tollen The Lumineers, im Einsatz ist, mit seiner geradlinigen und tighten Arbeit zu einem exzellenten Stück geformt. Willett beschwichtigt und bezichtigt abwechselnd seine Geliebte ob ihrer Versuche, ihn zu ändern: "I know that you would like, like to change me / Make me softer to your voice like a baby". Eben dieser Wechsel zwischen Säuseln und Schärfe macht vor allem die Bridge des Songs genial.

Nach vier perfekten Songs in einer Reihe kommt mit "Passing The Hat" ein nur sehr, sehr guter, der sich für den eigenen Aufbau etwas zu viel Zeit lässt, auch wenn er diese vielleicht braucht. Die Geschichte um den Dieb einer Kirchenkollekte beginnt musikalisch wie textlich erstmal scheinbar recht klar, getrieben vom Piano, bevor Willett sich selbst in Ekstase treibt in Schuldgedanken ob der eigenen Tat und dabei ein schönes Beispiel für seine manchmal kaum verständlichen, aber emotional passenden Texte abliefert: "Sweet, sweet sign of relief / Sweet sweet, o Baltic Sea". Flüchtet der Täter ins lutheranische Baltikum? Man wird den Eindruck nicht los, Willett erzählte bei den meisten Songs nur ein Bruchteil von dem, was in seinem Kopf herumgeistert. Das gilt ebenso für das erneut "nur" sehr, sehr gute "Saint John", das zwar ein Gassenhauer ist, aber nicht makellos. Erneut geht es um Schuld, und der Beginn des Songs scheint fast bewusst nervig, anstrengend, geradezu zäh geschrieben, um die folgende hektische Kakophonie erst so richtig wirken zu lassen. Cash hätte jedenfalls seine Freude gehabt an völlig unironischen Lines wie "I shamed my family / shamed my home".

"Robbers" ist eine schöne Elegie, geprägt von Paranoia und Libertarismus, die ein musikalisches Pärchen bildet mit dem seltsamen, gruseligen "Pregnant", da nur auf diesen beiden Songs nicht Vollstoff gegeben wird. Vor allem das psychopathisch anmutende "Pregnant" ist sehr gelungen, beide Songs passen nicht im Geringsten zum Rest der Platte und machen diese so umso interessanter. Für die dritte Single "Hospital Beds" gilt das hingegen nicht, die satte Piano-Figur zieht sofort in ihren Bann und der Song kommt fast komplett ohne Gitarren aus, stattdessen ergänzen sich Russell und Willett an den Tasten wunderbar und quasi beispiellos. Erneut lebt der Song auch von den Rupturen und Willett, der bei "I got one friend laying across from me / I did not choose him, he did not choose me" jede Vorsicht fahren lässt, während seine Stimme sogar im Studio Salti schlägt, so viel will sie, so wenig kann sie, und so genial hört sich das an.

Nach diesem perfekten Song folgen mit "Red Wine, Success!" zweieinhalb sehr gute Minuten seltsamer Mischung aus Slacker-Indie und Krach, mit den desillusioniertesten Lyrics überhaupt und einer ausgesprochen tiefen Grundstimmung; Willett und Aviero spielen ganz wo anders als Maust und Russell, die um die Wette grooven. Der Track handelt bruchstückhaft von Routine, Coping, Sinnsuche, und das dezidiert, ohne irgendwo zu landen. In Musik gegossene Hoffnungslosigkeit, die auch nur auf diesem Album dem bierernst, gar hymnisch wirkenden "God, Make Up Your Mind" gegenübergestellt werden kann. Während sich vieles zunächst nach Party anhört, aber in den Abgrund blickt, wird hier eine Totenmesse gelesen, bis der Refrain mit einem krassen Bruch in einen Kinderreim stolpert, und Willett fragt: "Do you wanna play fair? / Or should I take what's mine? / Like everyone else". Eine langweilige Autofahrt unter Geschwistern wird bei diesen Kids natürlich schon immer noch existenziell verhandelt, zum Schluss taucht der Sänger sogar komplett in den Kaninchenbau ab: "Drew a picture of a cat laying dead in the street / Daydream about my real dad back in California". Alles klar! Damit verdienen es CWD sich, dass wir den Closer "Rubidoux" ein Stück weit ignorieren, denn auch die in ihm versteckte Fingerübung "Sermon Vs. The Gospel" kann nicht verhindern, dass die Kalifornier sich hier, und nur hier, völlig und komplett anders anhören: gewöhnlich.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. We Used To Vacation
  2. 2. Hang Me Up to Dry
  3. 3. Tell Me In The Morning
  4. 4. Hair Down
  5. 5. Passing The Hat
  6. 6. Saint John
  7. 7. Robbers
  8. 8. Hospital Beds
  9. 9. Pregnant
  10. 10. Red Wine, Success!
  11. 11. God, Make Up Your Mind
  12. 12. Rubidoux" (mit hidden track "Sermon Vs. The Gospel")

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Cold War Kids

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, seine Band Cold War Kids zu nennen? Bei Matt Maust klingt die Erklärung ganz einfach: Während einer Reise durch …

8 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Für mich eine die erste große Entdeckung dieses Jahr! Ein stoisches Schlagzeug, ein Piano neben der Spur, eine Gitarre die mehr gequält als gespielt wird und eine manisch gehetzte Stimme - was dabei rauskommt? Songs, die viel mehr nach Pop klingen, als sie das bei dieser Zusammenstellung dürften. Schön schräg eingängig.

    reinhören: www.myspace.com/coldwarkids Anspieltipp: Hang Me Up To Dry
    und bei www.coldwarkids.com gibts noch zwei Songs und ne Live-EP mit Coverversionen zum runterladen. Qualität (von der EP) ist zwar grausam... lohnen tut sich das aber.

    :phones:

  • Vor 17 Jahren

    Bin im Besitz des Albums und kann es nur empfehlen. Leider aber für mich nicht über die volle Länge des Albums. In der zweiten Hälfte baut es leider ein wenig ab. Aber gerade Hang me up to dry ist ein Hammer!

  • Vor 17 Jahren

    Die zweite Hälfte des Albums aber ziemlich oft schlechter gemacht, als sie eigentlich ist, find ich. Klar legen die besonders mit den ersten drei Songs unglaublich vor, aber ich find auch im weiteren Verlauf und in fast jedem Lied finden sich tolle Momente.