laut.de-Kritik
Wenn die Marketing-Megalomanie im tristen Alltag landet.
Review von Dominik LippeWozu der ganze Größenwahn? Schon der Titel von Ross Antonys Machwerk klingt, als stamme er aus dem Handbuch eines Diktators, dem sich entnehmen lässt, wie er die Gemütslage seiner Untergebenen im Griff behält. "100 Jahre Gute Laune" sei seine "klangliche Enzyklopädie der Feelgood-Hits, die ultimative Party-Kollektion, eine Art Audio-Handbuch der Gelassenheit und ein Jahrhundert-Standardwerk", tönt das Schlager-Schwergeschütz Telamo megalomanisch. Ein krasser Widerspruch zu den bescheidenen Liedchen, die der umgängliche Brite über 45 Minuten vorstellt.
Harmlos und freundlich eröffnet Ross Antony sein Album mit "Überall Ist Liebe" und "So Wie Du". Die beiden Disco-Songs bleiben überschaubar kreativ, aber gewinnend wie ihr Interpret. "Wir alle suchen Liebe - am besten für ein Leben lang", gibt er bestens gelaunt die Regenbogenroute vor. Dass er sich dabei mehrfach zwischen abgegriffenen und schiefen Metaphern verirrt, ist seinem Team aber wohl entgangen. "Ein Ozean der Gefühle, in dem man nur versinken kann", schwärmt er etwa, obwohl es eher wie ein Warnung klingt, denn wer assoziiert schon Ertrinken als etwas Positives?
Nach seinen annehmbaren Einstieg folgt er nur noch der Schlager-Tradition, internationale Hits für ein deutschsprachiges Publikum zu adaptieren. "Nah Neh Nah" von Vaya Con Dios war Antony offenbar zu subtil. Befreit von unnötigen Folk- und Jazz-Elementen steht der angepeilten Party nichts mehr im Wege. Die entgegengesetzte Richtung schlägt er mit "Leider Lieb Ich Dich Immer Noch" ein. Zwar basiert der Song auf Chers "Believe", doch klugerweise verzichtet der Sänger darauf, in gleicher Weise den Auto-Tune-Einsatz zu überreizen oder sich in galaktische Sphären zu katapultieren.
Authentisch verkauft Ross Antony seinem Publikum, das zumindest er großen Spaß an seiner Arbeit hat. Doch wenn er für "Wir Sind Eins" ausgerechnet "Live Is Life" verwurstet, stellt sich die Frage, an wen sich das Album eigentlich richtet. Opus' staubiger Gassenhauer dürfte nur noch Boomer wie Thomas de Maizière hinter dem Ofen hervorlocken. "Ich Singe Jeden Tag" lehnt sich an Gene Kellys "Singin' In The Rain" an. Ein respektables Vorbild, das er hoffnungslos verschlagert. Und mit "Weiß Nicht Viel" landet die Frohnatur bei Sam Cooke, dessen "Wonderful World" er gänzlich vom Soul befreit.
Am fragwürdigsten fällt allerdings "Halt Mich Fest" aus, das er wahrhaftig als deutsche Version von A-has "Take On Me" ins Rennen schickt. Wer hat darauf gewartet? Zum einen ist dem ehemaligen Bro'Sis-Sänger der übergroße Respekt vor dem Original anzuhören. Ihm fehlt schlicht die Chuzpe, sich den Song wirklich anzueignen. Zum anderen grenzt es an Wahnsinn, einen absoluten Welt-Hit auszuwählen, um ihn dann so lala zu covern. Naheliegender wäre es doch, an eher mäßigen oder weniger bekannten Vorlagen zu demonstrieren, was sich aus dem Ausgangsmaterial herausholen lässt.
Die Ross'sche Quintessenz erreicht "100 Jahre Gute Laune" mit "Und Der Tag Wird Gut". Mit dem eingängigen Pop-Rock "Walking On Sunshine" von Katrina and the Waves findet Antony ganz zu sich selbst. "Mein Morgen beginnt mit Gefluche - die Zahncreme ist aus. Ich steh' frisch geschäumt in der Dusche - kein Wasser kommt raus", hangelt er sich durch die Unannehmlichkeiten des Alltags, die es abzuschütteln gilt. "Ein Hund schnuppert an meiner Hose, dann hebt er sein Bein - oh no!" So landet dann auch das größenwahnsinnige Konzept wieder auf dem grauen Boden Deutschlands.
4 Kommentare
100 Jahre Gute Laune‘ – selten hat ein Albumtitel so viel versprochen und dabei so wenig gehalten. Zwischen Dauergrinsen und Fremdscham bleibt nur die Frage: Ist das noch Musik oder schon akustischer Zuckerschock? Aber Respekt, Ross – wer es schafft, dass man sich nach einem Song nach Stille sehnt, hat definitiv Eindruck hinterlassen.
100 Jahre gute Laune kann man auch im stillen ausleben
Wo bleibt die Amigos-Rezi? Release heute.
Vermute, man fühlt sich 100 Jahre älter, wenn man das durchgehört hat.