laut.de-Kritik
Leidenschaftliche "Carmina Burana" von der Mittelalter-Combo.
Review von Thomas GraffeWann hatten die Jungs von Corvus Corax wohl das letzte mal Sex? Das ist eine von vielen Fragen, die sich beim Lauschen des neuen Megaprojektes namens "Cantus Buranus" aufdrängen. Es scheint, dass alle Leidenschaft und Energie, die die Raben aufbringen konnten, sich in dem kleinen runden Ding bündeln, das hier in meinem Player rotiert.
Der neueste Streich der Mittelalter-Combo ist mehr als nur eine weitere "Carmina Burana"-Adaption. Der Sound breitet sich langsam im Hörnerv aus und steuert stetig auf das Gehirn zu. Ab dem ersten Lied ist klar, dass man es hier nicht mit üblichem Mittelalter-Gebolze à la "Ich quetsche meinen Dudelsack und du schreist dazu" zu tun hat.
"Cantus Buranus" ist eine Sinfonie, die mittelalterliche und moderne Klangerzeugung und Instrumentierung zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk verquickt. Die Band konzentrierte sich im Gegensatz zu Carl Orff bei der Textauswahl ausschließlich auf die weltlichen Stücke, etwa Trinklieder und Spielmannsweisen, die der Vagantenkultur von Corvus Corax am ehesten entsprechen.
Das Klangvolumen und die Vielfalt der akustischen Reize von "Cantus Buranus" sprengt den Rahmen Orffs und hätte auch fast die Technik der modernsten Tonstudios in den Äther gebombt. Wochenlang steigerte man den Stromverbrauch der Nation ins Unermessliche, um fast 400 Tonspuren in verschiedenen Tonstudios zusammen zu basteln. Das Ergebnis ist ein echter Augenöffner.
Mit "Fortuna" liefern die Raben einen kraftvollen und zugleich mitreißenden Opener. Neben dem Chorgesang, den Pauken und Dudelsäcken sorgt ein gelegentlicher Tempiwechsel für Ausgewogenheit in dem per se klassischen Stück. In "Dulcissima" gewährleistet das dominante Schlagwerk zusammen mit schnellen Dudelsacksequenzen treibendes Tempo, das gegen Ende immer zügiger und mitreißender wird. Auch hier gibt's immer wieder kleine Atempausen, in denen der Chor den Dudelsack ablöst.
Neben diesen eher dynamischen Arrangements stehen Lieder wie "Hymnus Cantica" und "Lingua Mendax", in denen hymnische Passagen den Ton angeben. Einer meiner Favoriten ist aber eindeutig das balladesque "O Langueo", das mit seinem tragenden, leicht schwermütigen Klang die Sinne in seinen Bann zieht.
Neben dem von Wim für dieses Album eigens konstruierten und vielleicht größten existierenden Organistrum trugen Gastacts wie Syrah (Estampie), Sven Friedrich (Ex-Dreadful Shadows, Zeraphine) und noch viele andere bekannte Musikanten zur Vervollkommnung des ehrgeizigen Projektes bei. Nach der offiziellen Live-Premiere am 05. August in Wacken geht die Party am 19./20. August vor einer wunderschönen Kulisse auf dem Museumsinselfest in Berlin in die zweite Runde.
Wer es also schaffen sollte, nix wie hin, denn es dürfte imposant werden. Wenn's nicht klappt, nicht gleich den Dudelsack fressen. sondern sich das Limited Digipak mit einer Bonus-DVD im Dolby Surround 5.1 sichern. Das kommt dem Live-Genuss einigermaßen nahe.
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