laut.de-Kritik
Schön gestalteter Rückblick in eine andere Epoche.
Review von Joachim GaugerDer Opener "Love The One You're With" eröffnet den nun endlich veröffentlichten Mitschnitt der CSNY-Tour 1974 wie eine rockende Jamsession; erst im Refrain ergänzen Crosby, Nash und Young die Leadvocals von Stephen Stills. Die legendären mehrstimmigen Harmonie-Gesänge von Crosby, Stills, Nash & Young kommen erstmals im zweiten Track "Wooden Ships" zum Tragen, bleiben dann aber das klare und stets präsente Wiedererkennungsmerkmal, das diese Band auszeichnet.
Das gilt für die beiden elektrischen und rockigeren Sets genau so wie für den ausgedehnten Akustik-Teil in der Mitte. Dabei gibt die hier vorliegende Aufnahme ein komplettes Konzert mit eigentlich allen bekannteren CSNY-Songs gut wieder, obwohl sie aus mehreren Gigs an verschiedenen Orten zusammengestellt wurde.
In den elektrischen Sets zeigen die vier eine deutlich größere Neigung zum Jammen und Improvisieren, wie etwa in dem auf über acht Minuten ausgedehnten "Déjà Vu" zu Beginn von Disc 3. Trotzdem enthält der akustische Mittelteil im Grunde die interessanteren Tracks, darunter mehrere bislang unveröffentlichte Songs von Neil Young. Am meisten Stimmung im Publikum kommt seltsamerweise bei einem kurzen Solo-Intermezzo von Neil Young auf, was möglicherweise an dem eindeutigen Gegenwarts-Bezug von "Goodbye Dick" liegt.
Es ist ja nicht ganz leicht, sich gedanklich in den amerikanischen Sommer 1974 zurückzuversetzen. Der Vietnamkrieg ging ins letzte Jahr, US-Präsident Richard Nixon stand kurz vor der Amtsenthebung, der er im August nur durch seinen Rücktritt zuvorkam - darauf bezieht sich "Goodbye Dick". Die Stimmung in den USA war von Apathie geprägt, die Jugendbewegungen reagierten mit Verweigerung (Punk) oder der Flucht ins 'Saturday Night Fever'.
Als Crosby, Stills, Nash & Young ihre Reunion-Tour antraten, schienen ihr bislang einziges Album "Deja Vu" und ihr Auftritt in Woodstock, der sie vor allem bekannt gemacht hatte, bereits eine Ewigkeit zurückzuliegen. Man warf der Band vor, sie würde ihre Ideale verraten und nur des Geldes wegen durch 30 der größten Stadien der USA touren. Und auch die Songs von CSNY, zum allergrößten Teil mitten in der Studentenrevolte zwischen '68 und '70 entstanden, wirkten bereit Mitte der 70er zwischen Disco und Glamrock wie ein Anachronismus.
Die Tour selbst war denn auch eine riesige Herausforderung, erzählt Neil Young später: "Wir versuchten, konzentriert zu bleiben und den Fokus auf die Band zu legen. Aber bei all dem Chaos um uns herum und den vielen Ablenkungen und den Drogen wundert mich immer noch, dass wir so ungeschoren davon gekommen sind".
Insofern ist der nun vorliegende Mitschnitt "1974" in erster Linie ein Zeitdokument mit historischem Wert. Jedoch ein überaus liebevoll gestaltetes: Die Produzenten Graham Nash und Joel Bernstein sollen über viereinhalb Jahre an dem Projekt gearbeitet haben, wovon nach eigener Aussage ein "schmerzhaft großer Teil" aufgewendet wurde, um Neil Youngs Ansprüchen an die Soundqualität gerecht zu werden.
Zusammen mit dem schönen Booklet ist "CSNY 1974" wirklich eine vorbildliche Retrospektive geworden. Allerdings haftet dieser Art von Folkrock mit 'hohen' Stimmen auch recht viel Patina an. Der Folk hat sich in den Jahrzehnten doch sehr verändert und viele Elemente aus anderen Genres aufgenommen. Die ähnlich alten, jedoch viel rockigeren Songs, die Neil Young auf der aktuellen Tour mit seiner Band Crazy Horse spielt, wirken im Vergleich deutlich zeitgemäßer. Man könnte natürlich auch sagen, der Rock habe sich eben nicht wirklich weiterentwickelt.
1 Kommentar
Authentisch, teuer und der Gesang hat ein paar gurkige Momente.