laut.de-Kritik

Der Schweizer konfrontiert filigrane Gitarren mit simplen Texten.

Review von

Die Texte verschmelzen mit der Musik, und damit ist "Welt Ohne Zeit" kein Schlager-Album. Dagobert verweist uns darauf, dass das Problem mit germanophonem Schlager oft auf dünnen Sound-Arrangements fußt. Der junge Schweizer lässt zwar auch Synthies und Gitarren den Vortritt, aber: Er veranstaltet filigrane Musik mit ihnen.

Der PR-Text übertreibt nicht einmal, wenn er "hymnische Gitarren wie bei den Manic Street Preachers" anpreist. Denn im Song "In Unseren Leben" und am Ende des Tracks "Ich Weiß Nicht Was Du Willst" erscheint doch der manisch blaue Himmel von "This Is My Truth Tell Me Yours" vor dem inneren Auge.

Das gilt in Bezug auf die Gitarren. Nehmen wir dann jedoch die manischen Straßenprediger mal als Beispiel für englische Texte und vergleichen Textabschnitte wie den folgenden aus "Einsam", einem Song, dessen Synthie-Blubber-Intro von Stephan Remmler aus den 80ern stammen könnte: "Okay, ich sag's dir trotzdem. / Heute auf der Straße / da sah ich sie. / Sie fuhr mit dem Fahrrad / ziemlich schnell an mir vorbei. / Ja, sie hat mich gesehen / Doch sie wollte nicht mit mir reden / Und nun ist sie wieder weg / Deswegen fühl ich mich so einsam / So ganz ohne niemanden sonst. (...) Und ich mag sie wirklich / Oh je, oh je. / Das ist nun das Problem / das sie hat mit mir / Dass ich sie so liebe / Deswegen fühl ich mich so einsam."

Auch das Gitarren-Outro erinnert an die 80er, an The Cure, doch was sich hier als Geschichte ereignet, wäre für sehr viele englischsprachige Acts, nicht nur die Manic Street Preachers, zu einfach, thematisch genauso wie von der sehr schlichten Wortwahl her. Es wäre auch zu umgangssprachlich für eine Band wie The Cure, ohne Poesie dahinter.

Cool hingegen an Dagoberts Lyrics ist, dass man genau versteht, was er meint. Da stellen sich bei Helene Fischer schon etliche Hürden in den Weg, weil sie Wörter nur grammatikalisch richtig aneinander reiht, die allerdings oft keinen logischen Sinn und keine klare Vorstellung ergeben. Dagobert ist in dieser Hinsicht nun einfach Pop - anders als Stephan Remmler oder Neue Deutsche Welle relativ arm an Subversion und frei von jeder Art von Humor, ob lakonisch, herzhaft, zwischen den Zeilen, ironisch oder was auch immer für Humor: Fehlanzeige!

Dagobert will vor allem verhinderte Liebschaften erklären, er ist der Nachfolger der eingestellten ARD-Serie "Verbotene Liebe". So wie man sich von ihr anstrengungsfrei berieseln lassen konnte, ohne sich gestört zu fühlen, funktioniert das auch hier: Was bei der ebenfalls bald eingestellten "Lindenstraße" stets Pathos und 'Ach wir kennen uns alle'-Feeling war, war bei "Verbotene Liebe" das Understatement des Unausgesprochenen, der wohl ausgesuchten Hintergrundmusik in diversen Bar-Szenen und der nicht restlos zu Ende erzählten Geschichtenstränge war, kehrt alles bei Dagobert in "Welt Ohne Zeit" wieder. Das macht er wirklich gut, freilich im Medium Song statt TV-Serie. Man muss nicht aufpassen, was er singt, denn man weiß genau, dass alles ums selbe Thema kreist: um Konstellationen, in denen einer nicht will oder kann und der andere schon.

Die Musik perlt so angenehm, und die Stimme klingt so neutral und frei von Missklängen, dass ich beim Testhören immer wieder geistig 'abgeschaltet' habe und nicht mehr auf die Lyrics achtete, so wie es bei fremdsprachiger Musik meist passiert. Dagoberts Produzent Konrad Betcher kennt sich aus mit Moog-Klängen und unterlegte der Platte viele schöne Arrangements.

Nett hört sich das alles an, scheut allerdings die Frage, warum man genau diese CD haben oder hören muss. Nichts davon ist hier originär und nichts davon über dem Pop-Durchschnitt umgesetzt. Einzig: Es werden, wie beschrieben, in Alternative-Style aufbrandende Gitarren mit sehr simplen Texten kombiniert.

Und sonst? Was ist eine "Welt Ohne Zeit"? Der Albumtitel klingt nach dem großen philosophischen Projekt. Der zugehörige Track löst das relativ enttäuschend auf. Da ist halt jemand verliebt und vergisst die Zeit um sich herum. Ah so. Man sollte das Ganze einmal anhören, wenn man Vorurteile gegen Deutsch-Pop hat, denn man könnte positiv überrascht werden. Ein Funke aber springt nicht über. Wahrscheinlich muss man diese Musik live erfahren, um sie zu spüren.

Trackliste

  1. 1. Du Und Ich
  2. 2. Uns Beiden Gehört Die Vergangenheit
  3. 3. In All Unseren Leben
  4. 4. Flashback
  5. 5. Anna
  6. 6. Flieg Mit Mir
  7. 7. Ich Weiß Nicht Was Du Willst
  8. 8. Einsam
  9. 9. Der Geist
  10. 10. Welt Ohne Zeit

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